Flashmob am Festival-Klo

JAZZFESTIVAL SAALFELDEN

25/08/19 Größer, länger, lauter: Das Jazzfestival Saalfelden feiert seinen 40. Geburtstag und gönnt sich zum Wiegenfest ein pralles Aufgebot. Das Jubiläumsfestival wird nicht als die beste aller Ausgaben in die Geschichte eingehen, wohl aber als die ehrgeizigste. Kunst kommt anscheinend ja doch von „Müssen“, lässt der Event auf dem Festival-WC vermuten. Auch grüßt die Neigungsgruppe Free Jazz mit Strukturmangel.

Von Christoph Irrgeher

Das Konzertaufkommen ist nahezu verdoppelt worden, die rund siebzig Termine quellen über den Rahmen des Gewohnten hinaus: Grünflächen, Geschäfte, selbst Amtsräume finden sich heuer einbezogen und werden mit Gratis-Auftritten bespielt. Wer in dieser Event-Fülle nach Orientierung sucht, tut gut an der Nutzung der Festival-App. Die liefert zwar auch missverständliche Botschaften („Maja Osojnik im Gericht um 11.30“), hilft aber bei der Bewältigung eines Jazz-Dschungels, den der Ehrgeiz des Intendanten erblühen ließ: Mario Steidl wünscht sich Saalfelden als musikalische Begegnungszone. Hier sollen nicht nur Kenner, sondern auch Unbeleckte dem Jazz in die Arme laufen und in dieser Umklammerung betört verweilen wollen.

Fragt sich nur: Finden im zweiten Stock eines lokalen Betriebs dann wirklich Damaskus-Erlebnisse statt? An Publikum fehlt es – wir blicken zurück auf Freitag (23.8.) und Samstag (24.8.) – zwar nicht, wenn der US-Saxofonist Briggan Krauss in der Druckerei Fuchs eine halbe Stunde lang den herben Charme des Free Jazz verdeutlicht. Wirklich neu schien dies hier aber fast keinem zu sein – einmal abgesehen von der prekären Sesselsituation.

Während das Publikum emsig über diesen Expansionskurs spricht, treibt ihn der Kontrabassist Lukas Kranzelbinder auf die Spitze. Er veranstaltet am Freitagabend einen Flashmob auf der Herrentoilette. Umrahmt von Schaulustigen auf der einen Seite und temporär verwaisten Pissoirs auf der anderen, entstößt er sich im Duo mit Bassistin Beate Wiesinger Töne, die im gegebenen Rahmen durchaus intim und dringlich klingen. Zuletzt halliger Beifall von der WC-Gemeinde, dem einen oder anderen ist vielleicht ein Zitat von Arnold Schönberg dazu eingefallen. Der hat einmal gesagt, Kunst kommt vom Müssen.

Dennoch spricht einiges dafür, dass Musikbedürfnisse andernorts besser aufgehoben sind. Nämlich auf einer echten Bühne. Auch davon hat Saalfelden heuer allerdings mehr. Direkt neben dem Kongresshaus, dem Festival-Zentrum, prangt eine „City Stage“. Entertainer brechen dort mit viel Swing, Rums und Rock und Roll eine Lanze für Jazz der niedrigen Schwelle. Das mag zwar wenig mit der avancierten Grundausrichtung des Festivals zu tun haben, hält die Laufkundschaft aber (im Verbund mit neuen, deutlich appetitlicheren Gastro-Ständen) gut bei Laune.

Nur am Kongresshaus ist der Wind der Veränderung vorbeigesaust: Hier wird auch heuer am Freitagabend die Hauptbühne freigegeben, traditionell mit einer heimischen Premiere. Manu Mayr, jung und szenebekannt dank Bands wie Kompost 3, hat diesen Kompositionsauftrag heuer ausgefasst und ihn überraschend umgesetzt: Einmal kein Großaufgebot auf der Bühne, sondern lediglich zwei Musiker. Noch dazu so kleinlaut! Mayrs Kontrabass und die Bassklarinette von Susanna Gartmayer wispern einander knorrige Haltenoten zu mit Freude an herben Sekundreibungen.

Feinsinn dann auch im Quartett von Pianistin Sylvie Courvoisier und Saxofonist Ken Vandermark. Zwar heißt der Programm-Titel Noise of our Time und vermittelt sich gebührend infernalisch.

Dennoch blühen hier und da Oasen der Innenschau auf, Momente, in denen sich zarte Rätselmelodien aus dem Klavier ranken – doch erbarmungslos unter dem nächsten Rabatz zerquetscht werden. Hier erlebt man nicht nur Abwechslungslust, sondern auch dramaturgisches Talent. Eine Gabe, die am Freitag und Samstag immer wieder fehlt. Da feuern Bands so lange Free-Jazz-Salven auf das Gehör ab, bis es daran abstumpft – und machen dann genau so weiter.

Nicht so Christian Muthspiel: Der Tonsetzer zwischen E und U stellt am Samstag sein neues Bigband-Projekt vor. Orjazztra Vienna heißt es und strotzt nur so vor Könnern im Ensemble. Die erhalten dann auch reichlich Freiraum. Während Gerald Preinfalk (Saxofon), Lorenz Raab und Matthieu Michel (Trompete) ausgiebig im Solo-Rampenlicht brillieren, steuert die Bigband typische Klangkulissen bei: schnittige Riffs, blockige Akkorde, malerische Klangfarben. Eine gediegene Arbeit, doch recht Jazz-konventionell für den Gratwanderer Muthspiel. Dennoch: Einige fitzelige Kontrapunkte, saftige Harmoniefolgen und feingewobene Texturen lassen sein Schreibtalent aufleuchten und verschaffen ihm Jubel am Dirigentenpult.

Auch Sarah Tandy versteht es zu glänzen: Fast noch schulpflichtig anzusehen, besitzt die Engländerin Reife in einem Klavierspiel, das sich am Groove und an den Solo-Kaskaden eines Herbie Hancock orientiert. Dass Tandys Quintett (mit Feuersaxofonist Binker Golding) hier und da schicken Elektro-Jazz auftischt, wie ihn Rapper gern sampeln, dürfte dem Marketing nützen und stört jedenfalls kaum. Erwähnenswert zudem Saxofonist James Brandon Lewis und seine Berserker-Band: Auch sie zählt zwar zur Neigungsgruppe Free Jazz mit Strukturmangel. Dennoch ein Elementarereignis, was für einen Feuersturm da eine greinende E-Gitarre, ein Wummer-Bass, zwei Teufelshörner und ein mit Thor-Hämmern bedonnertes Schlagzeug entfalten. Mehr Prägnantes hoffentlich am heutigen Sonntag, dem letzten Festivaltag, den Saxofon-Ass Joshua Redman krönen wird.

Die letzten Events und Termine heute Sonntag (25.8.) in Saalfelden - www.jazzsaalfelden.com 
Bilder: Jazzfestival Saalfelden / Johannes Radlwimmer (3); Michael Geißler (2)
Christoph Irrgeher, der Verfasser dieses Beitrags, ist Musikkritiker und Redakteur der Wiener Zeitung - www.wienerzeitung.at