Cineastischer Blick weit über den Tellerrand

FILMFESTIVAL RADSTADT

03/11/21 Sechs Österreich-Premieren. Elf Filme, die vorher noch nie in Salzburg zu sehen waren. Und sogar zwei Uraufführungen: Es ist kein Wunder, dass auch viele Filmemacher den Weg nach Radstadt finden. Das Filmfestival, das zum 20. Mal stattfindet und heute Mittwoch (3.11.) beginnt, hat einen guten Ruf.

Von Reinhard Kriechbaum

„Diese Dichte ist außergewöhnlich und ein Beispiel für die gute Vernetzung im Film- und Kinobereich“, sagt Elisabeth Schneider, die Intendantin des Festivals, mit begründetem Stolz. Immerhin arbeitet sie seit über zwei Jahrzehnten dran.

Gleich zum Festival-Auftakt kommt ein Regisseur aus Bayern, Hans Steinbichler. Er stellt seinen neuen Film Hannes vor, nach einer Romanvorlage von Rita Falk (Eberhoferkrimis). Es ist die Geschichte einer Burschenfreundschaft, die eine gravierende Wendung erfährt, als einer der beiden jungen Männer auf einer Motorrad-Tour verunglückt und ins Koma fällt.

Seit vielen Jahren setzt Elisabeth Schneider bei der Programmierung des Filmfestivals Radstadt auf den Heimatfilm. Weil da aber solche aus vielen Ländern zusammenkommen und es im Regelfall um heutige Themen geht, bedeutet der Begriff Heimatfilm nicht Enge, schon gar nicht ein Liebäugeln mit Spielarten des Nationalismus, sondern ganz im Gegenteil: Es geht um unterschiedliche Lebens-Welten, also um den cineastischen Blick weit über den Tellerrand.

Im Vorjahr ist der Salzburger Filmemacher Wolfram Paulus verstorben. Da ist heuer in Radstadt ein kleiner Schwerpunkt fast unverzichtbar. Schließlich hat er seinen Debütfilm Heidenlöcher im Pongau, in St. Johann und Großarl (wo Paulus 1957 zur Welt kam), gedreht. Mit diesem Schwarz-Weiß-Drama über einen Deserteur während des Zweiten Weltkrieges hat er es 1986 bis ins Wettbewerbsprogramm der Berlinale gebracht und einige Preise eingeheimst.

Paulus' Filme Heidenlöcher, Die Ministranten und Nachsaison gelten als „Salzburg Trilogie“ als Streifen, mit denen das genre Heimatfilm neu definiert wurde. Am Freitag (5.11.) sind nicht nuir diese drei „Klassiker“ zu sehen, sondern auch Unbekannteres von Wolfram Paulus. Der Kurzfilm Wochenend war sein Diplomfilm, der 1982 an der HFF München entstand. Paulus beschreibt das Wochenende des liebesverschmähten Grundwehrdieners Franz Biberger in einem verschneiten Bergdorf. Mit einfachen Mitteln werden da persönliche Befindlichkeit und Zeitstimmung eingefangen. Für die Literaturverfilmung Das Glück beim Händewaschen (nach Joseph Zoderer, regie Werner Masten) war Wolfram Paulus als Student in München fürs Bühnenbild zuständig.

Eine Besonderheit mit Salzburg-Bezug ist der restaurierte Film Gold aus Gletschern. Es ist ein Film von Luis Trenker über den Bau des Kraftwerkes in Kaprun aus dem Jahr 1956. Das Filmfestival Radstadt kooperiert da mit dem dem Amt für Film und Medien Autonome Provinz Bozen/Südtirol.

Eine Film-Uraufführung betrifft den Veranstalter des Filmfestivals selbst: 40 – ein Film über Kulturarbeit – Mit Freunden und für Freunde beleuchtet die Geschichte des Radstädter Kulturvereins Das Zentrum, das erst kürzlich sein vierzigjähriges Bestehen gefeiert hat. Regisseur Kurt Hörbst war schon oft in und mit Radstadt beschäftigt. 2002 hat er bei den Paul-Hofhaimer Tagen gemeinsam mit Hannes Raffaseder eine Multimediale Performance gestaltet und 2007 ebenfalls mit Raffaseder einen „Medienkirchtag“ ausgerichtet. Auch zum 25-Jahre-Jubiläum des Zentrum 2006 hat er schon einen Kurzfilm gedreht.

Bei den beiden anderen Uraufführungen geht es um dieselbe Sache: war ein Projekt von Herbert Pixner und dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, improvisierte Volksmusik traf auf Partner in Symphonieorchesterstärke. Das wurde im Frühjahr 2021 im Festspielhaus St. Pölten aufgezeichnet – da gab's noch kein Publikum. Symphonic Alps wird man in radstadt also wirklich zum ersten Mal erleben können – sehen und hören als Konzertfilm und auch als als Dokumentarfilm. „Beide Male ist der Regisseur Christoph Franceschini anwesend“, freut sich Elisabeth Schneider.

25 Filme aus dreizehn Ländern werden bis Sonntag (7.11.) in Radstadt zu sehen sein, darunter Österreichische und Salzburger Erstaufführungen wie die Dokumentarfilme Das Garagen Volk, Die letzten ihrer Art – seltene Nutztierrassen aus Südtirol, Plötzlich Heimweh, Walchensee oder die Spielfilme Nowhere Special, Das Land meines Vaters, Lunana – A Yak in the classrooom.

Eine Erfolgssträhne hat Regisseurin Yulia Lokshina mit ihrem Film Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit hinter sich. Der Streifen über osteuropäische Leiharbeiter in einem deutschen Schweineschlachtbetrieb wurde beim Filmfestival Max Ophüls 2020 als Bester Dokumentarfilm gekürt und erghielt heuer den Preis der deutschen Filmkritik. Auch das eine Österreich-Premiere.

Filmfestival Radstadt, 3. bis 7. November – Das Programmheft als pdfwww.daszentrum.at
Bilder: Das Zentrum (4); vimeo (1)