Ein Komponist und eine Kaiserin in Brasilien

MATTSEE / DIABELLISOMMER / „SAUDADE“

22/06/12 Wie kam Herbert Lindsberger, Bratschist aus dem Mozarteumorchester, auf die Idee, sich auf die Spuren des Salzburger Komponisten Sigismund Ritter von Neukomm (1778-1858) und einer Habsburger-Prinzessin (und späterer Kaiserin) in Brasilien zu begeben?

„Saudade“ ist das Stichwort, das heißt Fernweh. Auch Herbert Lindsberger, der sich neben seiner Tätigkeit im Mozarteumorchester mit historischer Aufführungspraxis und eben mit Musikgeschichte beschäftigt, hatte Vorfahren, die es nach Brasilien zog. Das war freilich viel später, 1936. Diese Leute siedelten in die Tiroler Kolonie Dreizehnlinden, aber die Hoffnungen zerstäubten, nach wenigen Monaten beendeten sie ihren Aufenthalt dort.

Die Chance auf ein Zurück hatte Leopoldine von Österreich (1797-1826), ein klassisches Opfer der habsburgischen Heiratspolitik, nicht. Die Tochter von Franz I und Maria-Theresia von Neapel-Sizilien, wurde aus Staatsräson 1817 mit dem portugiesischen Kronprinzen Pedro do Braganca verheiratet. Der weilte damals gerade auf der Flucht vor Napoleon mit seinem Vater in Brasilien. Die Prinzessin geriet an einen jungen und unreifen Ehemann. In der fremden Kultur fand sie sich nur unter Aufbietung größter Pflichterfüllung zurecht, sie litt Zeit ihres restlichen Lebens unter Einsamkeit und Heimweh.

Nichtsdestotrotz lernte sie rasch die Landessprache, übte sich in Mildtätigkeit und zog im Hintergrund wichtige diplomatische Fäden auf dem Weg ihrer neuen Heimat zur Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Portugal. Als Ihr Mann 1822 im Alter von 24 Jahren zum Kaiser von Brasilien gekrönt wurde, wurde sie endgültig zur gefeierten „nossa mãe“ (Unsere Mutter) des brasilianischen Volkes. Bis heute wird ihr Namenstag, der 15. November, in Brasilien als Staatsfeiertag begangen.

Was hat der in Salzburg geborene Komponist Sigismund Ritter von Neukomm mit Brasilien und Kaiserin Leopoldine zu tun? Der Schüler Michael Haydns in Salzburg, seines Bruders Joseph in Wien und spätere Cembalolehrer von Mozarts Sohn Carl Thomas war in fraglicher Zeit – von 1816 bis 1821 – in Rio de Janeiro, wo er auch als Musiklehrer von Pedro wirkte. Die Habsburgerin und ihr komponierender und Klavier spielender Landsmann werden sich wohl begegnet sein.

Für sein Projekt „Saudade“, das dieser Tage zweimal in Schönbrunn gegeben wurde und heute Freitag (22.6.) beim Diabellisommer Mattsee zu hören ist, hat Herbert Lindsberger Musik gewählt, die Kaiserin Leopoldine während ihrer Zeit in Brasilien gehört haben könnte. Welche Stücke hatte sie auf der Überfahrt nach Südamerika vielleicht im „Handgepäck“, und wie mag sie – musikalisch – den auch intellektuellen Kontakt zu ihrer Heimat zu halten versucht haben? Sigismund Neukomm schuf in seiner Zeit in Brasilien rund fünfzig Werke. Insgesamt hat er über zweitausend, heute in Musikbibliotheken in aller Welt verstreute Stücke geschrieben. Neukomm war ja auch in St. Petersburg und Paris tätig.

Für das Projekt „Saudade“ wurde ein eigenes Ensemble, die Academia Leopoldina, gegründet. Es musizieren Werner Neugebauer und Alessandro Borgomanero (Violine), Herbert Lindsberger (Viola), Marcus Pouget (Violoncello), Julia Schick (Sopran) und Imre Rohmann (Klavier). Die Schriftstellerin Gloria Kaiser, die ein Buch über Kaiserin Leopoldine geschrieben hat, liest eigene Texte.

„Ich habe mich zwei Jahre lang ziemlich intensiv mit Sigismund Neukomm beschäftigt“, erzählt Herbert Lindsberger. Neukomm war mit dem Staatsmann Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord befreundet und auf dem diplomatischen Parkett so aktiv unterwegs, dass er zeitweise sogar in Verdacht geriet, als Spion tätig zu sein. Nach Brasilien gelangte er als Reisebegleiter des Herzogs von Luxemburg.

Leopoldine spielte auch politisch eine Rolle in Brasilien. Sie führte in den Unruhezeiten der Unabhängigkeitserklärung bei Abwesenheit ihres Mannes zeitweise die Staatsgeschäfte und wirkte nach der Krönung von Pedro zum Kaiser Brasiliens auf ihren Vater, Kaiser Franz I, sowie ihren Schwiegervater, Dom João VI. in Lissabon, ein, die Unabhängigkeit Brasiliens anzuerkennen.

Neukomm konnte, wenngleich unter größtem Risiko, wieder nach Europa zurück fliehen. Sie hatte keinerlei Aussicht auf Heimkehr und starb jung, mit 29 Jahren, nach der Geburt des lange ersehnten Thronfolgers. Er verschied hoch betagt fast 80jährig in Paris. (dpk-krie)

„Saudade. Kaiserin Leopoldine und Sigismund Neukomm“, heute Freitag (22.6.) um 20 Uhr in der Stiftskirche Mattsee - www.diabellisommer.at