Tönende Willkür und Kontrolle

JAZZFESTIVAL SAALFELDEN

25/08/13 Eine Fahrt nach Saalfelden kann auch eine Fahrt durch die Jahreszeiten sein. Da besteigt man also an einem Sommernachmittag in Wien den Zug. Die Ankunft findet dann an einem Herbstabend statt: Ein feiner Regen benetzt das Saalachtal, und die Baumspitzen an den Hängen kitzeln tief fliegende Nebelschwaden. Gut, dass man die Weste mithat.

Von Christoph Irrgeher

223Im Kongresshaus ist der Empfang deutlich wärmer. Wie jedes Jahr bietet der braune Klotz dem Jazzfestival Obdach. Und wie immer spricht die Politik am Freitagabend ihr offizielles Eröffnungswörtchen mit. Heuer ganz ohne leutselige Peinlichkeiten. Und die Worte klingen konkret: Kulturlandesrat Heinrich Schellhorn garantiert dem Festival, dass die Zeiten des existenziellen Zitterns so bald nicht wiederkämen. Trotz Wahlkampf ist man geneigt, dies zu glauben. Immerhin macht auch der neue Landeshauptmann Saalfelden seine Aufwartung, und dieser Wilfried Haslauer war einst ein maßgeblicher Helfer, als das Festival unter einem Schuldenberg zu kollabieren drohte.

224Während die Bedingungen also stabil bleiben dürften, erwartet man von den Künstlern des progressiven Festivals freilich genau das Gegenteil – Musik des Risikos, Töne der Unwägbarkeit. Wer hier auftritt, der sollte frappieren können. David Helbock gelingt das. Der 29jährige Vorarlberger beackert musikalisch ein weites Land. Und: Er weiß es beim ersten Hauptbühnen-Konzert gewitzt zu präsentieren. Da erweisen sich der Pianist und seine „Action Figures“ erst einmal ihres Namens würdig, indem sie freejazzig abteufeln. Doch dann entströmen dem Klavier jählings zarte Dur-Akkorde; bald näselt das Saxofon (Tony Malaby) sehnsüchtig dazu.

225Helbocks Action Figures erweisen sich aber auch als flexibel, wenn der notorische Haubenträger einen spleenigen Blues à la Monk in die Tasten rammt. Und weil die aktuelle Solo-CD auch beworben sein will, gibt’s noch schnell was ganz anderes: eine drahtigen Paraphrase auf den Prince-Hit „1999“, mit manchem klangverändernden Griff in die Klavier-Saiten. Bei Helbock wirkt das nicht nach einer modernistischen Marotte. Sondern nur nach einem Stilmittel aus dem prallen Köcher eines Vielkönners.

Random/Control heißt eine weitere Band des aufstrebenden Mannes; sein Credo als Gestalter ist die Balance zwischen genau diesen Begriffen. In Saalfelden gelingt das heuer auffallend vielen Künstlern: In ihrer Musik sind tönende Willkür und strukturierte Momente fein austariert. Wie beim Gitarristen Marc Ducret: Er vereint unter dem Namen „Tower-Bridge“ drei Band-Module zu einem wohlorganisierten Rabatz. Immer wieder schälen sich aus den Klangschlieren der zwölf Herren wuchtige Posaunen-Choräle heraus, werden von drei Perkussionisten befeuert. Und wenn dann auch noch fitzelige Unisoni auftauchen und das Xylophon mitmischt, erinnert das Ganze sympathisch an Frank Zappa.

229Wem das zu dicht ist, dem blüht bei Scott Colley Labsal. Zwar erweckt das Quintett des US-Bassisten anfangs den Verdacht, mit seinem sanften Fender Rhodes und der gedämpften Trompete einen Miles-Davis-Gedenkdienst abhalten zu wollen. Allmählich entsteht aber ein reizvolles Wechselspiel aus vertrackten, gern im Siebenertakt kredenzten Grooves und freejazzigen Selbstentfesselungen. Fein auch, dass die Festivalleitung das lange Aufbleiben auch heuer mit einem heiteren Rausschmeißer honoriert. Nach Mitternacht nimmt sich eine Schmähbruderschaft namens Omaha Diner Pop-Hadern wie „Wishing Well“ (wer sich noch erinnert: das sang der schöne Terence Trent D’Arby 1987) zur Brust. Ein Festessen für das nachtaktive Quartett mit Trompeter Steven Bernstein und Funkgitarrist Charlie Hunter.

227Fein auch, dass der nächste Tag zumindest mit gutem Wetter beginnt. Auf der Bühne gestaltet er sich schon anfangs wechselhaft. „Big Rain“ nennt sich da etwa ein Kollektiv, das mit akustischen Niederschlägen nicht geizt: Das so nagelneue wie namhaft besetzte Quartett sucht sein Heil vor allem in imposanten Entladungen. Es mag aber auch daran liegen, dass sich die Trompetengirlanden (Franz Hautzinger), Bassgrooves (Jamaaladeen Tacuma) sowie die herzhaften Grunzlaute des Gitarristen (Keiji Haino) nicht wirklich zu ergiebiger Kommunikation verbinden.

228Auch Wadada Leo Smith wuchtet schwere Klänge in den Saal, vor allem: bedeutungsschwere. Der US-Trompeter hat ein instrumentales Mammut-Memorial für die schwarze Bürgerrechtsbewegung verfasst; in Saalfelden präsentiert er Ausschnitte dieser „Ten Freedom Summers“. Zwar beschert sein Nonett anfangs eine erstaunlich organische, schichtenreiche Mischung aus Freejazz und Neuer Musik. Doch weil das Pathos – und die Morton-Feldman-verdächtigen Haltetöne im Streichquartett – mit der Zeit Überhand nehmen, entsteht allmählich der Eindruck eines klobigen Mahnmals. Anklagend, gewiss. Doch starr.

230Da ist der Soloauftritt von John Medeski ein willkommener Kontrast: ein pianistisches Springinkerl, der Mann. Wieselflink zwischen den Stilen wechselnd, beschert er dem Publikum nicht nur eine undurchschaubar synkopierte „Summertime“ und ein grandioses Wechselspiel aus Clustern und Obertönen – sondern auch eine Saalfeldener Seltenheit: Er schwelgt auf offener Bühne in romantischen Harmonien. Sein finnischer Kollege Iiro Rantala tut es ihm zu später Stunde gleich: Umsäumt von zwei Streichern (Adam Baldych und Asja Valcic) entbietet er über weite Strecken ein Konzert, das man fast eine kleine Nachtmusik nennen könnte. Mit traumseliger Poesie, die manchmal nur eine Saitenbreite vom Kitsch entfernt ist. Dürfen die das? Eigentlich müssen sie es hier sogar dürfen. Auch darin erweist sich der zentrale Begriff dieses Festivals – Freiheit.

DrehPunktKultur-Gastautor Christoph Irrgeher ist Redakteur der Wiener Zeitung - www.wienerzeitung.at
Bilder: Jazzfestival Saalfelden