Schleier oder Kater?

IBN ARABI / DER ÜBERSETZER DER SEHNSÜCHTE

02/12/16 „Wer wissen will, was Salafisten, Fundamentalisten, Terroristen, Saudis und andere Kleingeister zur Weißglut treibt, echte arabische Intellektuelle jedoch inspiriert wie kaum etwas aus der islamischen Tradition, der findet es – hier!“ Was jeden Lyrikfan fasziniert und verwirrt, zum Lachen, Weinen und Staunen bringt, das findet sich – auch hier: In den Gedichten von Ibn Arabi in der Übertragung von Stefan Weidner.

Von Heidemarie Klabacher

dieses gedicht hat keinen reim
sein zweck ist nur das h für sie
denn sie heißt auf arabisch hâ

ich sag nur h für sie
ich handle nicht ich
geb ein h fürs ha
und sie für sie.

Das ist nicht von Jandl, Achleitner oder sonst einem Vertreter der Wiener Gruppe. Der Dichter, der da in einer raffinierten Jonglage mit Laut, Phonem, Morphem oder Silbe mitten im Gedicht Struktur und Zweck seines Gedichtes reflektiert: Der Dichter heißt Muhyî al-Dîn Abû ʿAbdallâh Muhammad bin ʿAlî bin Muhammad bin al-ʿArabî al-Hâtimî al-Tâʾî. Oder kürzer Ibn Arabi.

„Wer Sprechweisen, Motive, Bilder, Stimmungen der vorislamischen arabischen Dichtung kennenlernen will, findet sie hier. Wer wissen will, was uns die islamische Kultur jenseits der aktuellen, nur noch bedrückenden Nachrichten aus der arabischen Welt zu bieten hat, findet es hier, auch wenn er dabei nur die Spitze des Eisbergs sieht.“ Lang ist es her, unerreichbar scheint es sein: „Der intellektuelle Austausch zwischen arabisch-muslimischer und hebräisch-jüdischer Kultur war intensiv.“ Einst.

Denn geboren wurde Ibn Arabi im Jahre 1165 südlich von Valencia in Murcia im damals „muslimisch beherrschten Teil der iberischen Halbinsel“, schreibt der Autor und Übersetzer Stefan Weidner im Vorwort. Tatsächlich ist dieses Vorwort weniger eine Einführung, denn eine Hinführung, eine Wegbegleitung in Gefilde, in die man sich sonst nicht trauen würde – in das Reich arabischer Lyrik.

173 Seiten. Davon 35 Seiten Einführung, 109 Seiten in Deutsche übertragene „Gedichte“ in Gestalt eines komplexen Zyklus’ in- und miteinander verwobener Sprachkunstwerke, dann noch einmal 25 Seiten Anmerkungen und Literaturangaben. Klingt abschreckend philologisch. Doch Stefan Weidner – 1967 in Köln geboren, studierte Islamwissenschaft, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Göttingen, Damaskus, Berkeley und Bonn, will als Chefredakteur der Zeitschrift „Fikrun wa Fann“ zum Dialog zwischen westlicher und islamisch geprägter Kultur beitragen – versteht es, seine Einleitung a la Sheherazade zu „erzählen“.

Er beginnt ganz klassisch mit Leben und Werk von Ibn Arabi, seinem Einfluss durch die Jahrtausende herauf bis heute auf „moderne Dichter, Intellektuelle, Religionsgelehrte, Gottsucher und Philosophen“, nicht nur der arabisch-islamischen, sondern auch der westlichen Welt. Wenn Weidner in dem knappen biographischen Abriss die Atmosphäre schildert, „in der ein muslimischer Gelehrter in jener Zeit die Pilgerfahrt (nach Mekka, Anm.) erlebte, welche heute zu einer wenig anheimelnden Massenveranstaltung verkommen ist“, scheinen sich wie durch ein Trennmittel Zeitungs- und Fernsehbilder von einem kostbaren Gemälde zu lösen: „Vor 800 Jahren konnte man in einer Art Ferienstimmung abseits vom damaligen Weltgeschehen, von den Kreuzzügen, von der Reconquista und dem Mongolensturm, zusammen mit Gleichgesinnten über religiöse und sogar literarische Themen diskutieren: Die Gegend um Mekka war nämlich nicht nur die Stadt des Propheten, sondern auch einer der Schauplätze der vorislamischen Lyrik, auf die sich die Gedichte des vorliegenden Bandes so häufig beziehen.“

Ähnlich anschaulich beschreibt und erhellt Sheherazade Weidner sogar die komplizierten theologischen Hintergründe, die gerade die Gedichte Ibn Arabis bis heute in der islamischen Gelehrtenwelt zu einem Stein des Anstoßes machen.

Wenn Übersetzer über die Probleme des Übersetzens schreiben, ist das nicht selten unübersetzbar in die Sprache des Laien. Nicht so bei Stefan Weidner. Er schildert die Herausforderungen der Übertragung aus dem Arabischen mit anschaulichen, nicht selten schrägen Beispielen: „Trinkt der Geliebte in Gedicht 26 ‚mit hilfe ihres schleiers’ oder
trink[t er] den erlesenen wein und trink[t] / seinen kater gleich mit’ – das hängt davon ab, ob wir das arabische Wort mit einem ‚i’ (khimâr – ‚Schleier’) oder einem ‚u’ (khumâr – ‚Kater’) vokalisiert lesen; das Schriftbild selbst schweigt dazu. Beides ergibt sinnvolle Lösungen, und der Witz ist natürlich, dass wir eine Entscheidung darüber, welche Lösung die richtige ist, erst dann treffen müssen, wenn wir den Vers (laut) lesen und ihn übersetzen.“ Vieles lasse sich nicht eindeutig klären. „Dass die befragten arabischen Muttersprachler, auch die gebildetsten, an denselben Stellen ratlos sind wie der Übersetzer, ist dann auch kein Trost.“ Im Gedichtteil - wo auf obige Erklärung unaufdringlich die Fußnoten am Rand verweisen -  klingt es dann so:
trink den erlesenen wein und trink
seinen kater gleich mit lass dich
vom singen des sängers umschmeicheln

seit adams zeit verkündet wein
beglaubigte prophetenlehre‚
vom garten der uns zuflucht bietet

Ähnlich anschaulich wie die Grundzüge der arabischen Lyrik, erklärt der Autor seinen Umgang mit den zahllosen arabischen Eigen- oder Ortsnamen, welch letztere häufig keine realen Orte meinen, „sondern Chiffren sind oder allenfalls mythologische Sehnsuchtsorte“. Da helfen dann schon sehr die Anmerkungen.

Stefan Weidner setzt seinen (und Ibn Arabis) Leserinnen und Lesern nicht fertig ausgestaltete „Gedichte“ als kulinarisch gerundete Häppchen mit subtilen Erotik- und Exotiknoten im Abgang vor, sondern als Einladung und Herausforderung. Die Übertragungen Weidners wirken tatsächlich über weite Seiten hinaus sprachspielerisch modern, experimentell. So scheint sich in der Übertragung noch zu verstärken, was der Übersetzer über seinen Autor sagt, dieser stehe „nah am Surrealismus“.

Eine echte Dechiffrierhilfe für den lyrikliebenden Laien: „Ibn Arabis Gedichtband ist der Tochter jener Gelehrtenfamilie aus Isfahan gewidmet. Sie trägt den Namen Nizâm (sprich ‚Nisâm’), was übersetzt so viel wie ‚Ordnung’ oder ‚Harmonie’ bedeutet, ein Wort, mit dem Ibn Arabi im vorliegenden Text mehrfach spielt. Nizâm ist für Ibn Arabi das, was Marianne von Willemer, alias Suleika, für Goethe im ‚West-östlichen Divan’ ist.“

Ibn Arabi: Der Übersetzer der Sehnsüchte. Gedichte aus dem Arabischen ins Deutsche übertragen, kommentiert und mit einer Einführung versehen von Stefan Weidner. Verlag Jung und Jung. Salzburg 2016. 173 Seiten, 25 Euro.
Stefan Weidner präsentiert den Band „Der Übersetzer der Sehnsüchte“ auf Einladung von prolit heute Freitag (2.12.) um 19.30 Uhr in der Galerie Untersberger-Kerschbaumer Wolf-Dietrich-Straße 4a - Literaturhaus