Schriller Schrecken, blutiger Scherz

BUCHBESPRECHUNG / KEGLEVIC / ICH WAR HITLERS TRAUZEUGE

03/11/17 Bruchlandung im Affengehege. Langfristig die folgenreichste, aber längst nicht die absurdeste Station. Als Mitglied einer Pilgergruppe alsbald massakrierter katholischer Apotheker auf dem Weg nach Santiago di Compostela strandet Harry in Berchtesgaden. Er überlebt – für‘s erste von Tag zu Tag – rekrutiert von Leni Riefenstahl für den Propaganda-Event „Wir laufen für den Führer“.

Von Heidemarie Klabacher

Männer gibt es nicht mehr viele so kurz vor Kriegsende. Die „Athleten“ für den ruhmreichen Wettkampf zum Geburtstag des „Führers“ – der Sieger darf Herrn Hitler persönlich gratulieren – mussten in Straflagern für Deserteure rekrutiert werden.

Ein eher trauriger, als heldischer Haufen startet denn auch am Ostersonntag 1945 die erste der zwanzig Etappen auf dem tausend Kilometer langen „Lauf für den Führer“ von Berchtesgaden nach Berlin. Mitten drin: der Jude Harry Freudenthal, der als Kind, und noch bis vor kurzem als Jugendlicher, mit seiner längst ermordeten Familie unvergessliche Sommerfrischen auf Berghof und Obersalzberg verbracht hat. Bis man dort nicht mehr willkommen war.

Die abenteuerliche Lebensgeschichte von Harry Freudenthal wird vom Autor Peter Keglevic quasi von hinten und vorne gleichzeitig aufgerollt: Der alte Harry schildert in New York seine Erlebnisse als junger Läufer für den „Führer“ und seine absurde Rolle als letzter Vertrauter Hitlers und Eva Brauns. Unter den Zuhörern in New York ist ein alter Bekannter aus diesen so vergangenen wie nicht zu verdrängenden Tagen des Grauens in Deutschland: Harrys Friseur. Roi Black. Ein Ex-Soldat der US-Army.

Er baumelte damals im Apfelbaum – verheddert bei einer misslungenen Fallschirmlandung in Feindesland. Ihn, den vom Himmel gefallenen schwarzen US-Amerikaner, führen die „Läufer für den Führer“ fürderhin als Maskottchen mit sich. Ein wackeres BDM-Mädchen, aus dem Begleittross der Athleten, verhinderte Auslieferung und Erschießung. Und Roi Black hilft den Athleten nicht nur mit Anleitungen zur Verbesserung der Lauftechnik.

Während die Läufer, begleitet und umschwirrt von der Frau Reichsfilmregisseurin Riefenstahl, die einen Durchhaltefilm drehen soll, durch das zerstörte Deutschland laufen, rücken die alliierten Truppen näher. Der Frontverlauf und Laufroute ändern sich täglich… Der Streckenverlauf durch jüngst zerbomte Städte lässt jeden Alptraum weiter hinter sich. So muss es gewesen sein.

Peter Keglevic strickt aus dem Grauen der letzten Kriegstage eine absurd komische schreckensschrille Geschichte – ohne die NS-Herrschaft zu verharmlosen oder gar dem Leid seiner Opfer respektlos zu begegnen.

Eines der unendlich vielen schrulligen doppelbödigen unendlich erzählerisch erdachten Details: Es sind just die Amerikaner, die den immer stärker dezimierten „Läufern für den Führer“ quasi den Weg zwischen den Fronten freihalten und den Veranstaltern alternative Routen hinter dem Rücken der ebenfalls herankommenden Russen bekannt geben: Sie sind ins Wettfieber geraten…

Erzählt wird in Rückblenden nicht nur das Leben von Harry Freudenthal, der die Strapazen und Qualen der physischen und psychischen Herausforderung nicht mehr spürt, wenn er sich an früher erinnert. Neben dem in Zukunft und Vergangenheit gleichzeitig gedrehtem Hauptstrang der Ereignisse, wirft der Autor immer wieder auch Streiflichter auf die Lebensgeschichten der anderen Athleten. Und er schildert in besonders bewegenden Passagen, das Hilfsnetz, das Harrys Vater und ein enger Vertrauter – lauter Zahnärzte, was für viel Ironie sorgt, weil Harry das DentistenhHandwerk zumindest theoretisch im kleinen Finger hat – in eine Zukunft gespannt haben, die sie selber nicht mehr erleben sollten.

Eine Robinsonade, ein Entwicklungsroman, ein mehr als abenteuerlicher Simplizissimus, ein Meisterstück absurder Prosa. Um historische Daten und Namen und Ereignisse webt Peter Keglevic, der die reinen historischen Fakten mehrere Jahre lang recherchiert, einen bilderreichen phantastischen Roman. Ein Buch zum Lachen unter Tränen.

Peter Keglevic: Ich war Hitlers Trauzeuge. Roman. Albrecht  Knaus Verlag, München 2017. 571 Seiten, 26,80 Euro – Knaus Verlag
Peter Keglevic, Jahrgang 1950, hat in der Rupertus Buchhandlung in Salzburg einst seine Buchhändlerlehre gemacht. Nun stellt der mehrfach ausgezeichnete Filmregisseur seinen Debüt-Roman vor - am Samstag (4.11.) um 19.30 in der Rupertus Buchhandlung - www.rupertusbuch.at