Die Desperados von Bratislava

BUCHBESPRECHUNG / BENOVA / CAFÉ HYENA

20/12/17 „Ach, liebe Fee, wenn du wüsstest, was ich alles erlebt habe …“ Das sagt nicht nur Pinocchio, sondern auch Elza – aber um einiges ironischer. Denn sie hat keine gute Fee, und in Petržalka kann sie auch nichts erleben. In Petržalka kann sie nur gefangen gehalten werden.

Von Christina König

Die Plattenbausiedlung Petržalka in Bratislava ist nicht gerade ein Ort, an dem Elza gern ihr Leben verbringen möchte. Die Vorweihnachtszeit wird eingeläutet mit den „Du Wichser!“-Rufen des Nachbarn, beim Kinderkarussell brechen die künstlichen Schwäne mitten im Flug ab und die Wände des Wohnhauses sind so dünn, dass Elza jedes Wort des keifenden Altweiberhaushalts unter ihr mitbekommt. Und doch wohnt sie genau hier, in Petržalka.

Um der Siedlung zu entkommen, trifft sie sich Tag für Tag mit ihren Freunden im Café Hyena auf der anderen Seite des Flusses: mit Ian, ihrem Lebensgefährten, den sie schon aus Kindertagen kennt; mit ihrer besten Freundin Rebeka und deren Freund Elfman. Dort im Café Hyena können die vier ihrem trostlosen Leben in Petržalka entkommen und sich ein anderes, freieres Leben erträumen: Dort sind sie kreativ, schreiben, studieren, beobachten und lesen einander (oder auch den anderen Gästen) aus den selbstverfassten Werken vor. Um sich diesen Lebensstil leisten zu können, geht immer einer des Quartetts arbeiten, um den anderen drei ein „Stipendium“ zu ermöglichen.

Welche Art von Jobs sie annehmen, ist nicht wichtig: Vom Verfassen von Artikeln für konkurrierende Tageszeitungen bis hin zur Arbeit als PR-Manager für eine KZ-Reality-Show nehmen die vier Freunde alles an – Hauptsache es ermöglicht ihnen, Petržalka zu entkommen. Aber am Ende jeden Tages müssen Elza und die anderen wieder zurück über den Fluss …

Jana Beňová hat mit „Café Hyena“ einen Roman geschrieben, der das Lebensgefühl einer verlorenen Generation perfekt einfängt. Gefangen in einem ausweglosen Leben, dessen Gegenwart düster ist und dessen Zukunft keine Verbesserung verspricht, verbleiben die vier Protagonisten des Romans in einem Zustand der Hoffnungslosigkeit. In kurzen, prägnanten, voneinander unabhängigen Szenen beschreibt Beňová das Leben in Petržalka, die metaphorisch für das Scheitern der Ausbrechversuche der Protagonisten stehen: Elza und ihre Großmutter verirren sich im Spiegelkabinett des Lunaparks und finden nicht mehr hinaus; das Steckenbleiben im Pullover wird als Steckenbleiben im eigenen Unglück gezeichnet; beim Ballspielen als Kind schießt Rebeka ebenso oft daneben, wie auch ihre Lebens-Entscheidungen fehlgehen.

Immer wieder verdrehen die Protagonisten scheinbar versehentlich Wörter – so wird „geschickt“ zu „geflickt“ – und nicht nur die Bedeutung der Sätze wird unverständlich, sondern auch die Bedeutung eines ganzen Lebens. Und immer wieder fügt Beňová dem Ende eines Kapitels ein „(Ende)“ hinzu, vielleicht um das Ende der Ausbruchsversuche zu erklären, um anzuzeigen, dass die vier Freunde endgültig in Petržalka feststecken.

Aber ganz zu Ende sind sie wohl doch nicht, denn es geht immer irgendwie weiter. Und an den Schluss des Romans wird auch kein „(Ende)“ gesetzt. Der Schluss bleibt offen – und lässt vielleicht doch einen Funken Hoffnung zu, dass die Protagonisten Petržalka doch eines Tages entfliehen.

Jana Beňová: Café Hyena. Aus dem Slowakischen übersetzt von Andrea Reynolds. Residenz Verlag, Wien Salzburg 2017. 176 Seiten, 20 Euro – www.residenzverlag.com