Wie man ein Held sein kann

BUCHBESPRECHUNG / HOCHGATTERER / DER TAG, AN DEM MEIN GROSSVATER EIN HELD WAR

30/03/18 Selten wurde derart eindringlich vom Krieg erzählt. „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war" berichtet von Ängsten und Schicksalsschlägen, aber auch von kleinen Momenten des Glücks und solchen Momenten, in denen ein Einzelner zum Held werden kann.

VON VERENA RESCH

„Sie sagen, ich heiße Nelli. Manchmal glaube ich es, manchmal nicht.“ Nelli ist die Ich-Erzählerin, aus deren Sicht der Großteil der Erzählung geschildert wird. „Wie ein Gespenst“ ist sie angeblich eines Tages nach einem Bombenangriff am Bauernhof der Leithners angekommen – elternlos, traumatisiert und ohne Erinnerung. Nelli bleibt jedoch nicht der einzige Gast, auch ein russischer Kriegsgefangener und Maler von „Entarteter Kunst“ wird aufgenommen. Der Konflikt spitzt sich zu, als sich auch noch drei Wehrmachtssoldaten im Haus einquartieren.
Es ist faszinierend, wie viele weitere Schicksale, wie viel Atmosphäre und Spannung Paulus Hochgatterer in einer unglaublich dicht gewobenen Erzählung auf gerade mal 100 (groß gedruckten!) Seiten verpackt. Klappt man das Buch schließlich zu, hat man vielmehr das Gefühl, einen großen Roman gelesen zu haben.

Ende März 1945 – nur kurze Zeit vor der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, irgendwo auf dem Land, im Grenzgebiet zwischen Ober- und Niederösterreich. Es ist eine Landidylle, die hier geschildert wird, der Alltag geht hier weiter, denn „den Erdäpfeln ist es egal, ob Krieg ist oder nicht“, und manchmal scheint es, als wäre der Krieg weit weg. Doch auch hier ist das Leben der Menschen von den Ereignissen der vergangenen Jahre nicht unberührt geblieben; Fliegerstaffeln brausen in regelmäßigen Abständen über die Köpfe hinweg, Söhne und Brüder wurden eingezogen und kämpfen fortan an der Front.

Viel wurde bereits über diese Zeit geschrieben, doch selten auf derart eindringliche Weise. Dabei schlägt Paulus Hochgatterer ganz leise und sanfte Töne an, die in scheinbarem Widerspruch zu den Grausamkeiten stehen, von denen erzählt wird. Dabei geht es nicht nur vorrangig um die Dinge, die ausgesprochen werden, sondern auch um das Nicht-Gesagte, etwa um geliebte Menschen vor tragischen Wahrheiten zu bewahren. Außerdem ist die Handlung ein stetes Schwanken zwischen Realität, Fantasie und Vorstellung. Immer wieder heißt es „So hätte es sich am ehesten abgespielt“ und werden alternative Handlungsverläufe aufgezeigt, wobei das Rätselhafte nie vollständig beseitigt wird. Die Kapitelüberschriften – „Die Geschichte vom nicht ertrunkenen Kind“ oder „Die Geschichte vom nicht erhängten Soldaten“ – zeigen aber, dass auch im Krieg, im Ausnahmezustand, das Gute möglich ist. Höhepunkt ist schließlich jener schon im Titel angekündigt Tag, als ein einfaches „Schämen Sie sich nicht?“ aus einem Bauern einen Held macht.

Paulus Hochgatterer: Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war. Erzählung. Deuticke, Wien 2017. 112 Seiten, 18,50 Euro - www.hanser-literaturverlage.de
Paulus Hochgatterer liest am Freitag (6.4.) um 20.15 Uhr im Rahmen der Rauriser Literaturtage im Gasthof Grimming aus seiner Erzählung – www.rauriser-literaturtage.at