Zahnweh ist kein Gedicht

BUCHBESPRECHUNG / FELS / GEDICHTE

23/12/10 „Steht nichts mehr zwischen den Zeilen / kein Platz zwischen den Zeilen / das Papier vollgeschrieben / mit dem Nichts von Heute…“ Kein gutes Wort für deutsche Gedichte findet Ludwig Fels in seinem Gedicht „Deutsche Gedichte“.

Von Heidemarie Klabacher

Auch die Aufforderung „Wirf die Bücher weg / knallt so schön, wenn sie / unten auf dem Pflaster aufschlagen / schön und laut“ klingt nicht wie eine Apell „Mehr Lesen!“. Anti-Pisa?

Versucht man freilich „Fetzen Papier“ oder „Deutsche Gedichte“ sinnerfassend zu lesen, steht der richtige Text sehr oft zwischen den Zeilen. Zwischen den Zeilen der Gedichte von Ludwig Fels ist immer noch Platz für Botschaften, die betroffen und lachen machen.

„das Papier vollgeschrieben“. Nun ja. Schon. Aber nur so, wie eine Seite in einem Gedichtband eben vollgeschrieben ist. Kaum nämlich. Außer vielleicht bei Texten wie „Glasfluss“ oder „Atem des Herzens“ oder "22.03.2010": Da bleibt relativ wenig weiß auf der Seite.

Das „Nichts von heute“ ist auch nicht Thema von Ludwig Fels. Unzeitgemäßeres als Gedichte (im Allgemeinen) und Gedichte über Gedichte (im Besonderen), gibt es wohl kaum: Und im Lyrikband „Egal wo das Ende der Welt liegt“, erschienen bei Jung und Jung, gibt es viele solcher Gedichte über Gedichte, das Lesen oder über andere Dichter.

„Immer zu wenig Blut in den Adern, immer zu kalt“ trifft auch nicht zu: Die Zeile „Als ich noch Gedichte schreib lagen Frauen in meinem Bett“ ist etwa gar nicht blutarm. Fast noch blut- und tränenvoller, weil distanzierter, wird das Gedicht „Als ich Gedichte schrieb“ in der zweiten Strophe: „Als ich noch Gedichte schreib, konnte ich lachen und weinen und mit Männern leben, die keine Dichter waren und trotzdem Menschen“.

„Immer noch dasselbe hohle Getön“? Die Kritik an der Lyrik selbst zum Gedicht zu machen - weniger Marktschreierei und mehr Understatement geht nicht. Ludwig Fels gelingt dieses Meisterstück im Gedicht „Nicht alles ist ein Gedicht“: „Zahnweh, zum Beispiel, ist kein Gedicht, und / Hexenschuss ist kein Gedicht. Nicht jedes Gedicht ist ein Gedicht. Überhaupt keine Krankheit ist ein Gedicht, kein Tod.“

„Vom Rand der Dinge kommen noch manchmal / Stimmen. Dort wird noch gekämpft / und verloren, dort gibt es noch diese / Leidenschaft der Besiegten und dieses / Lächeln über die Lügen der Liebe.“

Ludwig Fels ist so eine Stimme. Nur gut, dass er, der lange keinen Gedichtband mehr vorgelegt hat, auch ein "Rondo (unfertig)" erscheinen lässt. Möge es keinem seiner Pretiosen so ergehen, wie seinem ersten Gedicht: "Ich hab's weggeschmissen / weil ich nicht wusste / daß es ein Gedicht war."

Ludwig Fels: Egal wo das Ende der Welt liegt. Gedichte. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2010. 149 Seiten, 20 Euro.