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Wohin soll ich mich wenden?

BUCHBESPRECHUNG / BAYER / WENN DIE KINDER STEINE INS WASSER WERFEN

14/06/11 Eine ganze Erzählung in nur einen Satz zu packen? Das klingt zuerst nach purem Manierismus. Doch kann davon keine Rede sein: Xaver Bayers dichter Text ist vielmehr eine bedächtiges wie aufrüttelndes Nachdenken über die Möglichkeiten eines unverstellten Schauens im Zeichen moderner Medien.

Von Harald Gschwandtner

Wie hat sich persönliches Erleben und Schauen in der Flut medial vermittelter und vervielfältigter Bilder gewandelt? Auf welche Weise überlagern die Schichten des Digitalen den privaten, unverstellten Blick? Um diese Fragen kreist Xaver Bayers neue Erzählung „Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen“. Ihrem Protagonisten, Fotograf von Beruf, ist wie seinem literarischen Artverwandten, Hofmannsthals Lord Chandos, „völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen“. Vielmehr sind es die „Assoziationen beim Ansichtigwerden eines Dings“, die seine Wahrnehmungen prägen.

Während er am Brüsseler Airport auf seinen Anschlussflug wartet, durchstreift Bayers Protagonist das Flughafengebäude. Stets lässt das Interesse an seiner Umgebung „schon bald“ nach, schnell wird ihm alles „zu langweilig“. Die Figur des Ich-Erzählers kann dabei in einer doppelten Weise gelesen werden: Einerseits als an der Grenze zum Pathologischen stehendes Individuum, das aus persönlicher Liebesversehrung und Orientierungslosigkeit einen Weg „ins Freie“ sucht. Andererseits als Figuration einer hellsichtigen medienkritischen Gesellschaftsdiagnose, die um die vielschichtigen Begriffe von Bild und Abbild, von Neugierde und Schablone angeordnet ist: Alle Wahrnehmungen erscheinen dem sensiblen Beobachter als verfälscht und inszeniert, wiederholt konstatiert er eine Durchdringung des Lebens und Erlebens mit einer Logik des Geldwertes und der Austauschbarkeit.

„Wohin soll ich mich wenden?“, scheint Bayers moderner Durchschnittsheld sich zu fragen. Es ist – durchaus zu vergleichen mit Werken Peter Handkes – die Suche nach Innerlichkeit und einer neuen, kindlich-naiven Begeisterungsfähigkeit im Zeichen medialer Überinformation, die im Zentrum der Erzählung steht. Zwar fühlt sich der Protagonist bei manchem Gedanke ein wenig „wie das Klischee eines Großvaters, der mit den Neuerungen seiner Zeit nicht zurecht kommt“, doch hat Bayers Text nichts Regressives oder Antimodernes an sich.

Es ist der Weg vom gehetzten Assoziieren und momenthaft-punktuellen Sehen hin zu einer als ursprünglich imaginierten Weise des Wahrnehmens und Erlebens, der im privaten, unkorrumpierten Schauen seine Erfüllung findet: „und so saß ich da und schaute und schaute […], ein paar Kinder blieben vor dem Teich stehen, bückten sich, hoben kleine Steine auf und warfen sie hinein, und als mir im Ansichtigwerden der Wasserringe, die bei jedem Einschlag eines Kieselsteins entstanden, mehr und mehr die Augen übergingen, da wusste ich, das war es und das ist es und das wird es sein, das wollte ich und das will ich und das werde ich wollen, und ich habe es nur vergessen, die Oberfläche des Teichs und dieser ewige Augenblick, wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen, und die Wellenkreise, die auseinander streben und sich überlappen, als würden sie miteinander spielen, und die am Ufer verebben, versiegen, und im Wasser das Spiegelbild des Himmels, das sich schaukelnd bewegt“.

Bayers Erzählung ist so virtuos wie mutig: Pathos im Erleben des Unscheinbaren trifft auf eine hintergründige Medienkritik – und mündet in der überzeitlich fundamentalen Frage nach dem rechten Leben.

Xaver Bayer: Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen. Erzählung. Jung und Jung, Salzburg 2011. 118 Seiten, 16.80 Euro.
Xaver Bayers Buch wird am Donnerstag (16.6.) im Rahmen des literarischen Quartetts „Auslesen“ um 20 Uhr im Literaturhaus vorgestellt. Weiters präsentiert werden Elfriede Jelineks Dramentext „Winterreise“, Julya Rabinowichs „Herznovelle“ und der Debütroman von Albert Holler „Entfernte Heimkehr“ - www.literaturhaus-salzburg.at

 

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