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Denker oder Macher

BUCHBESPRECHUNG / OBERENDER / DAS SCHÖNE FRÄULEIN UNBEKANNT

29/08/11 Wohin könnte die Reise des Theaters gehen? Andrea Schurian hat den scheidenden Schauspiel-Leiter der Festspiele, Thomas Oberender, über sich, über Gott und die Theaterwelt befragt.

Von Werner Thuswaldner

Seit 2006 war Thomas Oberender für das Schauspiel bei den Salzburger Festspielen verantwortlich. Er wurde von Jürgen Flimm hierher geholt. Die Beziehung zwischen den beiden war nach einiger Zeit von starken Spannungen geprägt. Oberender war zuvor von Gerard Mortier für die Ruhrfestspiele engagiert worden, wo er eine viel beachtete literarische Reihe etablierte.

Nun, bevor er Salzburg verlässt und in Berlin Intendant der dortigen Festspiele wird, ist im hiesigen Müry Salzmann Verlag ein Buch erschienen, das aus Gesprächen Oberenders mit der Leiterin der Kulturredaktion des „Standard“, Andrea Schurian, erschienen ist. Man stellt sich vor, dass dies für den Verlag ein vergnügliches Unternehmen war, denn Oberender pflegt selbst komplexe Sachverhalte druckreif zu formulieren, und Andrea Schurian stellte kluge Fragen. In den Gesprächen geht es um alles: um Biografisches, um das Leben, die Kunst und das Theater.

Oberender gibt erstaunlich viel von sich preis. Seine Sozialisation in der DDR – Oberender ist Jahrgang 1966 – erfolgte ohne extreme Vorkommnisse. Oberender kommt aus bürgerlichen Verhältnissen und konnte exzellente Bildungschancen nützen. Es liegt also keine der üblichen Geschichten von politischer Repression, Verfolgung und womöglich Flucht in den Westen vor. Geradlinig war sein bisheriger Weg allerdings nicht. Oberender lernte Schlosser, bevor er seine künstlerisch-intellektuellen Neigungen ausleben konnte.

Oberender ist Autor einer Reihe von Theaterstücken, die auch wirklich aufgeführt wurden und kultivierte als Mitarbeiter namhafter Medien, seine Begabung zur Reflexion künstlerischer Prozesse. Es sah danach aus, als würde einer erfolgreichen Laufbahn als Schriftsteller nichts im Wege stehen. Bis ihn Intendant Matthias Hartmann als Dramaturg an das Bochumer Theater holte. Von dort ging er mit Hartmann als Co-Direktor ans Zürcher Theater. Es muss für ihn verlockend gewesen sein, auf die reproduzierende Seite zu wechseln. An der Seite von Hartmann konnte er an der Uraufführung mehrerer Stücke von Botho Strauß mitwirken, über den er seine Dissertation verfasst hatte. Oberenders Theaterprogramme in Zürich gehören übrigens zu den wenigen, die man sorgsam aufbewahrt, weil darin stets Substanzielles zu lesen war.

Aus den Gesprächen ist nun herauszuhören, dass Oberender mit seiner Position auf der Macherseite nicht nur glücklich ist. Das hat nicht nur mit der Rauheit des Betriebs zu tun, in dem sich ein sensibler, skrupulöser Charakter wie Oberender nicht leicht tut. Er fragt sich, ob er nicht doch seine guten Chancen als Autor hätte nützen sollen.

Seine ganze Bewunderung gilt jenen Autoren, die sich von unserer Ablenkungsgesellschaft nicht haben beirren lassen und als Asketen ganz den unbedingten Forderungen der Kunst entsprechen: Peter Handke und Botho Strauß. Eine künstlerische Leitfigur ist für ihn außerdem Heiner Müller.

Für welches Theater steht denn Thomas Oberender? Die Frage lässt sich nicht einfach beantworten. Auskunft findet sich nicht nur in diesen Gesprächen, sondern auch in dem, was er in den fünf Jahren in Salzburg verwirklicht hat. Es entsteht ein heterogener Eindruck. Oberender denkt nicht stur, nicht eindimensional. Er ist neugierig und lässt sich von ästhetischen Hervorbringungen nicht bloß einer Art beeindrucken. In Salzburg durften Andrea Breth und Peter Stein inszenieren. Sie erinnerten daran, dass Theater einmal mit Sprach- und Sprechkunstwerk zu tun hatten. Noch mehr Gewicht bekamen die Regisseure, die heute landauf, landab das Sagen haben, etwa wie dieses Jahr Stemann und Ostermeier, deren Zukunftsträchtigkeit allerdings auch schon stark angezweifelt wird. Oberender hatte Michael Kehlmann als Autor in residence eingeladen und musste viel vermitteln, als der eine  Attacke auf das Regietheater in initiierte. Er wird nicht verlegen, wenn es darum geht, Stellung zu beziehen, aber apodiktische Statements sind nicht seine Sache. Wohin die Reise des Theaters geht, weiß auch Oberender nicht. Er wird die Abfahrt aber, weil er hellwach ist, nicht versäumen.

Thomas Oberender, Andrea Schurian: „Das schöne Fräulein Unbekannt“. Gespräche über Theater, Kunst und Lebenszeit. Brosch., 211 S., Verlag Müry Salzmann, Salzburg 2011
Bilder: Verlag Müry Salzmann (1); SFS / Wolfgang Lienbacher (1)

 

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