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Die Großeltern haben noch etwas auf Lager

BUCHBESPRECHUNG / SCHMITZER / DIE FALSCHE WITWE

28/05/12 Lager? Lager Glasenbach? Eine Autorin geboren in Glasenbach-Elsbethen. Ulrike Schmitzers Debut-Roman „Die falsche Witwe“ ist stilistisch und sprachlich zwar nicht unanfechtbar, dennoch ein wichtiges Buch: eines das Verdrängtes zur Sprache bringt.

Von David C. Pernkopf

Das große Totreden: Familie erzählen, Geschichte schreiben, Nazis entlarven. Familiengeschichten sind immer wieder angesagt. Vor allem dann, wenn die Geschichte der Familie eigentlich eine Nichtgeschichte ist. Wenn die Geschichte der Familie eigentlich nicht erzählt wird und auch nie erzählt wurde.

Die Ich-Erzählerin in Ulrikes Schmitzers Debut-Roman „Die falsche Witwe“ macht sich daran, die Nichtgeschichte ihrer Familie zu erzählen. Anlass dazu ist der plötzliche Tod ihres vermeintlichen Großonkels und die damit entstehende Bedrohung für die Familie: Der Großonkel war nicht der Onkel, sondern der Vater. Ein Identitätstausch in den Wirren der Nachkriegszeit verhalf einem SS-Mann zu neuem Leben und stürzt nun eine Familie in ein genealogisches Trauma, aus dem sie nicht mehr herauskommen wird. Als die Großmutter angeklagt wird, ihr Leben lang zu Unrecht eine Witwenpension bezogen zu haben, drohen die Familienbande endgültig zu zerreißen. Nun macht sich die Ich-Erzählerin auf, das Schweigen und die Lügenfront, die die Familie konstituiert haben, zu durchbrechen.

Damit sind zwei wichtige Stichwörter gegeben, die sowohl den inhaltlichen Rahmen des Romans, als auch den mentalitätsgeschichtlichen Bezugspunkt der Nachkriegszeit herstellen: Lebenslüge und Schweigen.

In diese Leerstellen hinein stellt Ulrike Schmitzer ihren Text, der ebenfalls mit formalen Leerstellen operiert. Das Erzählverfahren ist im Prinzip des Suspense angelegt: Wie erst nach und nach die Wahrheit über den Nazi-Großvater ans Licht kommt, so verschiebt auch der Text die Auflösung des Sachverhalts immer wieder nach hinten - Anklänge an den Kriminalroman werden geweckt.

Trotzdem ist „Die falsche Witwe“ kein Krimi und leider auch nicht spannend. Obwohl der Spannungsbogen formal streng aufgebaut wird, vermag es der Roman nicht, dem Leser die Geschichte so schmackhaft zu machen, dass dieser nur so darauf brennt, zu erfahren, wie es weitergeht. Der um Realismus und Authentizität bemühte Text zieht sämtliche Register, um mit seinem Erzählstil glaubwürdig, aber auch unmittelbar - also am Leben und an der Zeitgeschichte entlang - zu erzählen. Aber das gelingt ihm nicht bzw. nur stellenweise.

Denn obwohl die geschichtliche Verortung des Textes ergreifend und bedrückend ist, kommt der Wunsch nach solidem Erzählen im Leser hoch: Die vom Plot her wie gesagt spannend angelegte Prosa, lässt vor allem an sprachlicher Wendigkeit und poetischer Dichte zu wünschen übrig. Deutlich wird dieser Befund besonders zuletzt in den Dialogen und in der direkten Rede: Was der Roman an inhaltlicher Authentizität vorgibt, kann er vor allem hier nicht einlösen. Die Dialoge wirken gekünstelt, naturalistisch frisiert, lassen jede Form von Unmittelbarkeit durch Mündlichkeit oder durch Inszenierung zwischenmenschlicher Spannung vermissen.

Ebenso die inneren Monologe des Erzähler-Ichs beim Lesen der Tagebücher des Nazi-Großvaters. Die Darstellung der Gefühle wirkt bemüht und gezwungen. Die Eindrücke bleiben sprachlich einfach und stereotyp: „Mir rinnt es kalt den Rücken runter.“ Ist so etwas mehr als ein herkömmliches Erzählen? „Ich mache das Fotoalbum vorsichtig auf. Nazi-Abteichen, Uniform. Ich klappe das Album schnell wieder zu.“ Ist das die sprachliche Darstellung der Angst des Erzähler-Ichs vor der Familienvergangenheit?

Worauf ebenfalls gerne zu verzichten wäre: Die motivische Spiegelung des Schweigens und der Lebenslüge findet sich in der Beziehung der Ich-Erzählerin mit dem Historiker Karl, der ihr bei der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit akademisch zur Hilfe eilt. Karl gesteht ihr schließlich, dass er sie liebe und darüber nicht mehr schweigen könne…  Auch hier kann man sich ein Seufzen nicht verkneifen.

Dennoch muss der Text beeindrucken – wegen seines inhaltlichen Schwerpunkts. Gerade wegen Salzburg und des Bezugs zu diesem Ort: Die Rekonstruktion einer österreichischen Familiengeschichte wird zum Portrait und zum Symptom einer Nachkriegsgesellschaft, die nie bereit war, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Daher muss man dem Romandebüt von Ulrike Schmitzer Beachtung schenken: Weil sie den Versuch unternimmt, „engagierte Literatur“ zu schreiben. Auch wenn dieser Begriff ein Pleonasmus ist. Auch, wenn diese Literatur niemand einfordert, denn „Erzählen ist eine freiwillige Angelegenheit.“

Ulrike Schmitzer wurde 1967 Salzburg/Elsbethen-Glasenbach geboren. Sie studierte Publizistik/Kommunikationswissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Salzburg und ist als Ö1 Wissenschaftsredakteurin beim ORF, als freie Filmemacherin und Autorin tätig.

Ulrike Schmitzer: Die falsche Witwe. Roman. Edition Atelier 2012. 104 Seiten, 14,90 Euro.
Ulrike Schmitzers Roman wird beim Literaturfest Salzburg präsentiert: am Freitag (1.7.) um 12.30 im Künstlerhaus. Der Historiker Oskar Dohle spricht über den historischen Hintergrund des Romans, das Lager Glasenbach, in dem ehemalige Nazis von den Amerikanern interniert wurden – www.literaturfest-salzburg.at

 

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