Pathologien des Menschen und seiner Kultur

BUCHBESPRECHUNG / MESCHIK / LUZIDIN ODER DIE STILLE

30/05/12 Wo sich Welt und Gott „Gute Nacht“ sagen? Eine absurde Erzählwelt als Spiegelbild unserer Lebenswirklichkeiten erschuf Lukas Meschik in seinem in jeder Hinschicht überdimensionalen Roman „Luzidin oder Die Stille“.

Von Von David C. Pernkopf

Irgendwo zwischen dem bocksfüßigen Silen und dem vom Krebs zerfressenen aber notgeilen Gott, zwischen den noch geileren Politikern, die sich im Etablissement über ihre Praktikantinnen hermachen, und der möglichen Hauptfigur des Romans Justus Geheimnis – irgendwo dazwischen ist die Realität. Die Wirklichkeit. Das meint man, wenn man Meschiks zweiten Roman „Luzidin oder Die Stille“ liest.

Der Roman ist einer der bösesten und zutreffendsten Abgesänge auf unsere Zeit, den Menschen und unsere Kultur. Es ist ein apokalyptisches Drama, das als Bildgenerator aber nicht die großen Visionen vom Ende religiöser, politischer oder künstlerischer Schlagkraft bemüht. Es ist die große Collage-Maschine der postmodernen Kultur- und Weltordnung, die dem Text seine Grundierung gibt. Und damit kann man ihn – natürlich mit dem notwendigen Respekts- und Bedeutungsabstand – in eine Reihe mit David Foster Wallace, Thomas Pinchon oder Jonathan Littel stellen.

Es hat wenig Sinn, eine inhaltliche Darstellung, gar eine „Nacherzählung“ zu versuchen. Der Roman ist vielschichtig, öffnet und schließt unzählige Handlungsstränge und Binnenerzählungen. Baut um beinah jede neu eingefügte Figur eine eigenen Geschichte auf und entfaltet sie in ihrem Kosmos bzw. lässt sie wieder hinab fahren in die Unsichtbarkeit, in das erzählerische Nichts aus dem sie gekommen war: eine Romanwelt, in der alles vorkommen kann und darf, was es im herkömmlichen und zeitgenössischen Erzählen in der deutschsprachigen Literatur zurzeit nicht gibt. Das ist ein Projekt, aber auch ein Wagnis, da damit dem neuen Realismus eine klare Absage erteilt wird. Denn: Wie langweilig und trist kann ein realistischer Text sein, der nicht offen ist für surreale Sinnschneisen. Vielleicht kann ein schal und fade gewordener Erzählrealismus durch solche Texte wieder repariert bzw. stimuliert werden, um das Sein in wieder bunte und phantastische Kleider zu hüllen.

Natürlich verliert die Phantasterei-Maschine des Textes im Verlauf der eigentlich unmenschlichen 570 Seiten an Beschleunigungskraft und auch die rhetorische Spontaneität der poetischen Funken büßt ihre Kraft ein, aber Meschiks Ideenfabrik eine ganze Kosmologie zu erzählen, lässt nicht nach zu produzieren.

Der Roman beginnt tatsächlich beim großen Anfang: „Das Universum ist groß.“ So lautet der erste Satz und damit ist der narrative Startschuss für eine Kosmogonie gegeben, die den erzählerischen Raum für die Geschichte aufbereitet. Bereits hier fallen Kosmogonie und Apokalypse zusammen: Anfang und Ende sind eins und was dabei raus kommt ist eine „Wetterkapriole“, die man am besten als temporales Ausgießen einer Buchstabensuppe beschreibt.

Im Zoomverfahren nähert sich der Erzählfocus seiner Basiserzählung. Vom Blick aus den unendlichen Weiten des Universums in das kleine Wien, zu einem besonderen Protagonisten Justus Geheimnis schrumpft die Kosmogonie zum Menschen zusammen: „Das Universum ist groß. Iustus dagegen ist klein.“ Was folgt sind „Mosaikerzählungen“, „Assoziate“, schnelle Textritte durch das Leben der Protagonisten und immer wieder eingestreute luzide soziologische Blicke, Screens einer Gesellschaft, die eigentlich unsere sein könnte.

Damit beweist  Meschick, dass er ein ganz präziser und feinfühliger aber kritischer  Beobachter der Entwicklungen und Pathologien des Menschen und seiner Kultur des 21. Jahrhunderts ist: „Wir befinden uns im Zeitalter des homo communicans.(…) kommuniziert werden muss alles, was stattgefunden haben will.“ Der Mensch ist bei Meschik aber auch der homo habitans, „ein Mischwesen aus Zimmer, Mensch und Elektrosmog“, der in seinen Gebäuden gebäudelos dahin vegetiert.

Der erzählerische Blick auf die Wohnsituation der Figur des Toilettentesters Ladislaus Kampf erzählt von einer Gesellschaft, die ihn Gebäudesilos verrottet und den Kampf ums soziale Überleben schon längst begonnen hat. Gegen die infrastrukturellen und mentalen Favelas scheint niemand vorzugehen außer ein paar Terroristen. Die erzählte Welt des Romans wird auf jegliche Weise noch mehr bedroht und um ihre Existenz gebracht: eine global tätige Firma, die künstliches Fleisch ebenso züchtet, wie die Tagtraumdroge Luzidin und auch das Experiment der Weltallgeburt imitiert, ist dabei diese Welt zu verheizen. Dem entgegen steht die Zahl sieben - analog zu den sieben Todsünden. Ein Geheimbund wird gegründet, der sich als Weltverschwörungs- und Weltrettungsorganisation versteht. Es ist die Gruppe der sieben Gefahren, die alles aufschreibt, archiviert und die Welt schreibend zu retten versucht.

Ganz nebenbei bleibt dem Autor dann auch noch Zeit gegen den Literaturbetrieb zu Felde zu ziehen und in etwas ausufernden Passagen seine Sicht der Dinge in Form von Meinunsgprosa darzulegen. Das ist mitunter die Krot, die der Leser samt der Länge des Romans schlucken muss, um ans Ende zu kommen. Und das ist das buchstäbliche und übertragene Ende an sich: die allgemeine Apokalypse wird auch zur individuellen Eschatologie der Textfiguren, die als „letztes Ding“ wahrnehmen, worauf der Roman in seinem Titel anspielt: Stille. Das Ende ist die Nacht. Das ist auch das Ende des Erzählens

Meschiks Roman ist ein gelungener, wenn auch langatmiger Versuch seiner komplexen und phantastischen Erzählwelt eine absurde Krone aufzusetzen, die nicht nur surrealistisch schillert, sondern auch Zacken hat, die real schmerzen und verletzen können. Sein Roman ist die Erinnerung an die Phantomschmerzen eines abgebrühten und schal gewordenen Realismus.

Lukas Meschik: Luzidin oder Die Stille, Jung und Jung, Salzburg 2012. 570 Seiten, 25 Euro.
Lukas Meschiks Roman wird beim Literaturfest Salzburg präsentiert: am Freitag (1.7.) um 16 Uhr im Hotel Blaue Gans. Nina Bußmann wird ihren Debütroman „Große Ferien“ vorstellen. Moderieren wird Paul Jandl – www.literaturfest-salzburg.at
Bild: Literaturfest Salzburg / Julian Simonlehner