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Bauchfaltenexakt, stirnrunzelgenau

BUCHBESPRECHUNG / GERHARD HADERER

30/04/13 Ist Gerhard Haderer ein Phänomen? Schon. Mit scheinbar spielerischen Pinselwischen labert er in hoher Konzentriertheit und Detailversessenheit Boshaftes aufs Papier, was er dann, der nach Selbstaussage den spür-, jedoch kaum aushaltbaren Überdruck durch Malen und Zeichnen kanalisieren muss, via „Stern“ und „Profil“ verbreitet.

Von Hans Gärtner

Komisch genug, dass gerade die, die der erfolgreiche Super-Karikaturist gekonnt anschießt, nicht dran denken, zurückzuschießen. Früher haben`s einige probiert. In Zeiten, da Cartoons noch nicht in die Kategorie „Kunst“ fiel. Angestrengt setzten sie sich zur Wehr. Darunter die Kirche, die katholische, mit der Haderer auf Kriegsfuß steht. Seit dessen ketzerischem „Jesus“-Buch von 2002 will sie mit ihm lieber nichts mehr zu tun haben. Umgekehrt allerdings ist das bis heute der Fall: Haderer und die katholische Kirche – das ist anscheinend ein Dauerthema.

Das Kunstmann-Buch, das einen Querschnitt durch Haderers Schaffen seit 1987 bietet, legt sich – bewusst? – nun gleich auf dem Cover wieder mit der Kirche, genauer: ihren lust-vollen jungmännlichen Vertretern mit eingetrübter Theologenbrille und schwarz verdunkelnder Soutane an. Gerade auf den allerletzten Seiten des brillanten Bandes wird‘s nochmal schwer klerikal, kurial sogar, alt-päpstlich. Da guckt sich ein knollennasiger Benedikt XVI. ein neues Paar Schuhe aus. Im „Prada“-Katalog. Sieht über einem roten Schuh einen andersfarbigen. „Na bitte!“, kommentiert Haderer, der dem schneeweißen Emeritus-Haupt eine Denkblase mit „Die Blauen – ein Traum!“ entsteigen lässt, „Der Papst findet doch noch Mut zu Veränderungen“.

Wer Haderer kennt, weiß, dass seine Hass-Liebe keineswegs nur der römischen Amtskirche gehört, sondern auch dem, ach, so bieder-blöd dreinschauenden Durchschnitts-Menschen – ob aus Linz (Haderers Geburtsort) oder Lüneburg, egal. So schlau war Haderer schon immer, Österreicher und Deutsche für austauschbar zu halten. Denn hüben wie drüben fletschen birnenköpfige Mannsbilder ihre Pferdegebiss-ähnlichen Dritten, unter denen meistens ein Doppel-, lieber noch ein Dreifachkinn prangt, das seine Entsprechung in einem ausufernd aufgedunsenen Leib oder, insonderheit bei Damen auslaufenden Lebensalters mit Jugendwahn, in krankhaft gepolsterten Oberschenkeln findet. Beim Cartoon  „Wieder groß im Kommen: die Weihnachtsromantik“ zeigt sich eine dummdreiste „Christkindl-Model“-Aspirantin als Engerl in weißen Highheels.

Tausende, zumindest Hunderte solcher Wandschmuck-verdächtiger Blätter hegt und hütet wohl die umsichtige Haderer-Gattin, die in dem inmitten der Bilder-Schau abgedruckten Gespräch (wer es führte, wird dem Leser leider nicht mitgeteilt) als des Künstlers Managerin vorgestellt wird. Überschrieben ist der aufschlussreiche Text mit „… Es ist pure Lust!“ Und man glaubt‘s dem Haderer aufs Wort. Dass ihn die Leidenschaft antreibt, die Themen des Alltags, des politischen und gesellschaftlichen Geschehens, der Merk- und Denkwürdigkeiten zwischen Wiege und Friedhof, Wien und Berlin, Schihang und Kickerrasen, Finanzskandal und Ehekrise, kreatürlichem Blühen und Vergehen immer wieder aufs Neue zu interpretieren, auf den Punkt zu bringen – und Betroffene vielleicht auf die Palme.

Haderer ist viel zu gescheit und auch zu bescheiden, sich da nicht selbst einzubeziehen. Er steht nicht oben auf dem Bergspitz und schaut auf die Niedrig- und Widrigkeiten dieser Welt hochnäsig und breitbeinig herab. Er lässt  halt die Sau raus. Weil er, die These liegt nahe, sie selber oft nicht im Koben bändigen kann. Und dabei malt Haderer weltmeisterlich. Bauchfaltenexakt. Stirnrunzelgenau. Gemixt aus Spott und Hohn. Und purer Menschenliebe.

WP Fahrenberg (Hg.): Gerhard Haderer. Meister der komischen Kunst. Mit einem Vorwort von Konstantin Wecker. Verlag Antje Kunstmann, München 2013. 110 Seiten. 16 Euro. www.kunstmann.de
Bild: Kunstmann / Walter Schreiner

 

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