… die rührende Hilflosigkeit eines Toten

BUCHBESPRECHUNG / MUMIENSTADT WIEN

14/02/14 Mit den ägyptischen Pharaonen ist es geschehen, mit Kaiser Franz Joseph und mit Pater Anton Maria Schwartz. Die Beweggründe waren unterschiedlich und – handwerklich betrachtet – auch der Erfolg: Das Mumifizieren hat nicht immer so funktioniert, wie Verstorbene und Nachfahren sich das vorgestellt hatten.

Von Reinhard Kriechbaum

059Im Fall von Kaiser Franz Joseph, der 1916 seine gütigen Augen geschlossen hatte, ist die Sache ziemlich grandios danebengegangen. Fünf Liter Formalin bekam der Monarch in die k&k Halsschlagader injiziert. Weil im Beamtenstaat Österreich seit je her alles fein säuberlich zu Protokoll genommen wurde, wissen wir das ganz genau. Das Dokument ist von namhaften Medizinern ordnungsgemäß unterfertigt. Nach drei Tagen war allerdings das Gesicht des ehrwürdigen Monarchen so entstellt, dass man von einer öffentlichen Aufbahrung Abstand nehmen musste.

Immer noch ein sehr ästhetischer Anblick hingegen ist der Leichnam des Anton Maria Schwartz. Der Priester ruht in einem gläsernen Sarg, nur von einem Brett vor neugierigen Blicken abgeschirmt, unter dem Altar der Wiener Kalasantinerkirche. Dann und wann wird der unterdessen selig gesprochene Gründer dieses Ordens sogar noch zur Schau gestellt – oder wie immer man dieses makabre Prozedere hinlänglich pietätvoll nennt. Garstig ist die Leiche jedenfalls nicht, das Gesicht ist mit Wachs nachbearbeitet. Angeblich sehr lebensecht.

Kann man von Wien als „Mumienstadt“ reden? Hagen Schaub kennt sich aus, er hat viel gelesen und entschieden mehr davon mit eigenen Augen gesehen, als es auch neugierigen Menschen möglich ist. Schließlich hat das Thema schon auch mit Pietät zu tun. Vom Kunsthistorischen Museum (Ägypten-Abteilung, versteht sich) bis zur Michaelergruft, vom Narrenturm bis zum Pharma- und Drogistenmuseum in der Währinger Straße: eine erkleckliche Zahl von menschlichen Überresten in unterschiedlichsten Erhaltungszuständen. Man staunt nicht schlecht, wird vom Autor aber nicht mit Effekthascherei bedient. Hagen Schaub hat immer ein Stück weiter nachgefragt, ihn interessieren die Hintergründe, die zur jeweiligen konservierenden Handlung am toten Körper führten. Oft hatte es mit Verehrung zu tun, mit Respekt vor dem jeweiligen Verstorbenen.

Im Katholizismus – und katholisch waren wohl die meisten Wiener Mumien – spielte das künstliche Bewahren des Körpers keine Rolle. Aber in mancher Kirchengruft war das Klima eben günstig. Übrigens: Als die Wiener aufhörten, ihr Wasser aus den Brunnen in der Stadt zu schöpfen, sondern sich von der Hochquellwasserleitung zu laben, stieg der Grundwasserspiegel und damit die Feuchtigkeit in den Krypten. Mancher bis dahin gut erhaltenen Leiche ist es seither nicht so gut ergangen, konservatorisch gesehen.

Die Wissenschaft hatte Interesse an Körpern und Körperteilen. Kriminalmuseum, Narrenturm, Zahnmuseum Wien, sie alle haben Präparate, die hier fein säuberlich in Wort und oft auch im Bild gezeigt werden – nicht ohne dass Hagen Schaub viele Seiten zu Beginn drüber sinniert, ob das Herzeigen wohl statthaft sei. Sein Fotograf und Mitautor Robert Bouchal hat jedenfalls viele der Gruselobjekte in ein attraktives Licht gerückt. Die Schaulust kommt, bei allem Respekt vor den Toten, nicht zu kurz.

Adalbert Stifter war in Wiens katholischem Untergrund unterwegs und kam angesichts eines mumifizierten Frauenkörpers ins wohlig grausige Poesie-Schwärmen: „... das Antlitz und der Körper ist wunderbar erhalten, die Züge des Gesichts sind erkennbar, die Glieder des Körpers sind da, aber die züchtige Hülle desselben ist verstaubt und zerrissen, nur einige schmutzige Lappen liegen um die Glieder und verhüllen sie dürftig, auf dem Fuße schlottert ein schwarzer Strumpf, der andere ist nackt, die Haare liegen wirr und staubig, und Fetzen eines schwarzen Schleiers ziehen sich seitwärts und kleben aneinander wie ein gedrehter Strick – diese Zerfetzung des Anzuges und die Unordnung, gleichsam wie eine Art Liderlichkeit, zeigte mir ins Herz schneidend die rührende Hilflosigkeit eines Toten und widersprach fürchterlich der Heiligkeit einer Leiche ...“

Eine nette Mischung aus Thrill und Ehrfurcht. Wer es Stifter nachmachen will: Ab Seite 171 gibt es Internet-Adressen und Öffnungszeiten. Und auch die QR-Codes sind hilfreich, wenn man selbst einsteigen will in die Mumien-Unter- und Überwelt.

Hagen Schaub, Robert Bouchal: Mumienstadt Wien. Menschen-Mumien-Konservierte Körper. Pichler Verlag Wien 2013. 192 Seiten, 24,99 Euro – pichlerverlag.styriabooks.at