Leblos unter dem Salbeistrauch

LESEPROBE / BAUMANN / SALBEI, DILL UND TOTENGRÜN

11/11/16 Salbei, Dill und Totengrün: In jedem der neun Kurzkrimis von Manfred Baumann spielen Kräuter eine Rolle. In Stadt und Land Salzburg ist der ORF-Landkrimi „Drachenjungfrau“ zu sehen, ebenfalls eine Geschichte, die sich der Salzburger Journalist und Krimiautor ausgedacht hat. - Hier eine Leseprobe aus Baummanns Kräutergärtlein des Mordes.

Von Manfred Baumann

Plötzlich lag absolute Stille über der Anlage. Das entsetzliche Schreien hatte aufgehört. Es herrschte Schweigen, wie vor der Erschaffung der Welt. Gwendal umkurvte das Beet mit dem hoch aufgeschossenen Alant, ließ seine Hand über die Blätter der Schafgarbe gleiten und hastete den Weg hinunter zur dritten Terrassenstufe. Er entdeckte Pater Ruben neben der Goldmelisse. Der ehemalige Turnlehrer wirkte verkrampft, hilflos. Gegen seine muskulöse Brust presste sich eine Frau. Das war Rosemarie Fingerlos, die pensionierte Englischlehrerin aus Gwendals Kräuterkurs. Pater Rubens Arme waren etwas ungelenk um die zuckenden Schultern der Frau gelegt. Er fühlte sich sichtbar unwohl in dieser intimen Haltung. Noch ehe Gwendal die beiden erreichte, löste die Frau ihre Arme vom Oberkörper des halb nackten Mönches, drehte sich um und sackte in die Knie. Aus ihrem Mund quoll ein dumpfes Röcheln. Auf dem kiesigen Gartenboden bemerkte Gwendal einen leblos hingestreckten Körper, einen Mann, bekleidet mit heller Leinenhose und dunklem Hemd. Er näherte sich vorsichtig, warf einen Blick auf das Gesicht des Toten.

„Gütiger Himmel, das ist Klaus Trockenbach!“ Vor Gwendals Füßen lag einer seiner Kursteilnehmer. Tot. Die gebrochenen Augen des Mannes starrten ins Leere. Zwischen den Zahnreihen steckte ein Stück der Zunge. Der Hals war angeschwollen. Gwendal bemerkte die bläuliche Linie auf der Haut. Als hätte jemand mit einer dünnen Kordel die Kehle des Mannes zugeschnürt. Er ließ sich neben der Leiche nieder. Auch wenn es nichts mehr brachte, tastete der Mönch dennoch nach dem Handgelenk des Toten. Kalte Haut. Kein Puls. Das Leben war längst aus dem Körper gewichen. Die immer noch röchelnde Frau begann plötzlich heftig zu zucken. Die blutleeren Lippen bebten. Gleich würde sie kollabieren. Gwendal musste rasch handeln. Er kannte jeden Flecken in seinem Kräutergarten. Das Beet mit dem Storchschnabel war auf der oberen Terrasse. Er startete los. Die kleinen violetten Blüten waren noch geschlossen. Sanfte Tauspuren glitzerten auf den Blättern. Er rupfte einige Storchschnabelblüten und rannte zurück.

„Da, kauen Sie die!“ Die Frau starrte nur apathisch vor sich hin. Ihr Körper zitterte. Aus der Brust rollten haltlos Wogen von dumpfem Röcheln. Gwendal strich der bebenden Frau beruhigend über die Wange und steckte ihr eine Blüte nach der anderen in den Mund. Erst allmählich registrierte sie, was hier vor sich ging. Sie schaute dem Benediktinerpater in die Augen. Eine Anflug von Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dann begann sie, die kleinen Blüten im Mund mit der Zunge zu betasten, spürte den Geschmack des Storchschnabels, drückte die Pflanzenteile gegen ihren Gaumen.

„Danke.“ Mehr als ein Flüstern brachte sie nicht zuwege.

Durch die Morgenstille drangen Rufe. Schritte hallten über das Pflaster, hastig trippelnde Füße hetzten über Kieselsteine. Der Erste, der die mittlere Terrasse des Mariengartens erreichte, war Pater Ägidius, der Prior des Klosters. Dicht dahinter folgten Pater Sebastian und die junge Journalistin mit dem persischen Vornamen. Dilara, erinnerte sich Gwendal. Das hieß „die das Herz Erfreuende“. Die hysterischen Schreie von Rosemarie Fingerlos hatten offenbar alle aus dem Schlaf geschreckt, Ordensbrüder wie Seminarteilnehmer. Als Letzte erschien Merima, schwarz gelockt, mit verschlafenen Augen. Die Heilmasseurin aus dem Ottilienzentrum hatte ebenfalls heute im Kloster übernachtet.

Ab jetzt sind es nur mehr sechs Seminarteilnehmer, dachte Gwendal traurig, nicht mehr sieben. Denn einer lag tot unter dem Salbeistrauch. Klaus Trockenbach, der ihm am Abend zuvor noch etwas mitteilen wollte. Leider war es nicht mehr dazu gekommen.

Cur moriatur homo cui salvia crescit in horto?

Der Spruch aus einem mittelalterlichen Gesundheitsbuch fiel ihm ein. Warum sollte ein Mensch sterben, in dessen Garten Salbei wächst? Salbei galt als Allheilkraut, mit einer Wunderkraft, die sogar den Tod bannen konnte. Aber hier und jetzt lag ein Mann unter einem Salbeistrauch, und der war eindeutig tot.

In der fast 400-jährigen Geschichte von Kloster Eulenberg war schon viel passiert. Zahlreiche tragische Ereignisse waren in den Chroniken vermerkt. Unwetter, Überfälle, Seuchen Zweimal hatte die Klosterkirche gebrannt. Im Jahr 1821 hatte die Cholera neun der damals 21 Ordensbrüder hinweggerafft. Während der Nazizeit hatten die Mönche eine jüdische Familie im Weinkeller versteckt. Der damalige Abt war dafür nach Auschwitz gebracht worden. Aber ein Toter im Kräutergarten, das war ein absolutes Novum. Noch nie in all den Jahrhunderten hatte man einen Erdrosselten unter einem Salbeistrauch gefunden. Pater Gwendal blickte in den Kreis der von Entsetzen gezeichneten Gesichter ringsum. In der Ferne glitzerte friedlich der See im fahlen Morgenlicht. Die Nacht verabschiedete sich und nahm die letzten Reste Dunkelheit mit sich. Plötzlich stutzte Gwendal. Etwas am Anblick der Leiche irritierte ihn. Irgendetwas fehlte. Er versuchte, sich an den lebenden Klaus Trockenbach zu erinnern. Was war nun am toten anders? Er kam nicht dahinter…

Mit freundlicher Genehmigung des Autors

Manfred Baumann: Salbei, Dill und Totengrün. 9 Kräuter-Krimis. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2016. 283 Seiten, 12,99 Euro - auch als e-Book erhältlich  – www.gmeiner-verlag.de
Der ORF-Landkrimi „Drachenjungfrau“ von Manfred Baumann (mit der neuen Buhlschaft als Ermittlerin) ist bis 16. November im Filmkulturzentrum „Das Kino“ zu sehen, außerdem heute Freitag (11.11.) in Krimml, morgen Samstag (12.11.) beim Filmfestival Radstadt und am 13. November in Hallein. Ausstrahlung in ORF 1 ist voraussichtlich am 15. Dezember.

 

Bild: Manfred Baumann