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Genial geistesgestörte Heldin

RAURISER LITERATURPREIS / ANGELA LEHNER / VATER UNSER

25/03/20 Heute Mittwoch (25.3.) hätten die 50. Rauriser Literaturtage begonnen. Sie wurden auf 7. bis 11. April 2021 verschoben. Der Rauriser Literaturpreis und der Förderungspreis 2020 sollen aber „in möglichst naher Zukunft“ übergeben werden. Heldin des Preisträger-Romans Vater unser von Angela Lehner ist eine Geistesgestörte, wie es sie noch nicht gegeben hat, urkomisch und zutiefst manipulativ. - Hier eine Leseprobe.

VON ANGELA LEHNER

Fahrt
Man hat mir die Hände auf dem Rücken verbunden. Ich lehne mit dem Kopf an einer blickdichten Scheibe. Obwohl niemand raucht, erzählen mir die Sitzpolster von vergangenen Nikotingenüssen. Vor mir ist ein Gitter. Und davor sitzt eine Beamtin, deren Pferdeschwanz im Fahrtwind tänzelt.
Die Klimaanlage ist aus. Ich bin überrascht. Hätte ich die österreichische Polizei einschätzen müssen, hätte ich gesagt, dass die die Klima einschalten und gleichzeitig das Fenster runterkurbeln würden. Aber nein. Haben sie gar nicht gemacht. Ganz vernünftig sind die.
»Entschuldigung«, sag ich, »ich hätt gern etwas zu trinken.«
Keine Reaktion. Das ist mir unangenehm. Ich warte eine halbe Stunde und versuche es noch einmal.
»Verzeihung«, sag ich, »Durst.«
»An Durst hat’s«, vernehme ich eine Stimme aus der Fahrerkabine.
»Ah, iatz hat’s an Durst?«, sagt eine andere.
»Richtig«, sag ich, »einen Durst hab ich.«
Die Polizisten bemurmeln sich untereinander. Von vorne höre ich ein »In Ordnung«. In Ordnung, denke ich mir, ist doch ganz in Ordnung diese Polizei. Was haben denn immer alle?
Fünf Minuten später halten wir vor einer Esso-Tankstelle. Die Polizisten beraten sich via Funk mit der Zentrale, dann steigt die pferdeschwänzige Beamtin aus und öffnet mir die Tür. Sie hat ein aufgemaltes Gesicht und bunte Nägel. Im Geiste nenne ich sie Maria. Neben Maria erscheint die andere Stimme aus der Fahrerkabine. Der Beamte ist klein und bullig wie ein Eierbecher.
Der Eierbecher geht jetzt in die Tankstelle. Erst als er über das Walkie-Talkie das Okay gibt, setzen wir anderen uns in Bewegung. Gut organisiert, diese Polizei, muss man schon sagen.

Die Polizistin gräbt mir ihr Nageldesign so tief in den Oberarm, dass ich fürchte, die kleinen Plastikglitzersteine könnten ihren Weg in meinen Organismus finden. Sie verbietet mir das Sprechen und bringt mich in eine Toilette. In der Kabine zieht sie mir die Hose runter und setzt mich auf die Kloschüssel. Ich krümme meine Hände zu Fäusten, damit die Finger den Toilettensitz nicht berühren, und versuche, nicht an Feuchtgebiete zu denken.

»Entschuldigung«, sag ich von unten zu ihr, »Durst hab ich.«
Sie ist überrascht, erinnert sich dann: »Ah, an Durst!«
Sie stellt mich wieder auf und zieht mir die Hose nach oben.
»Danke«, sag ich. Und als ich den Ansatz eines goldenen Kettchens an ihrem Schlüsselbein erkenne: »Vergelt’s Gott.«
Ich werde in den Verkaufsraum der Tankstelle gebracht. Keine anderen Gäste. Die Verkäuferin zieht den Kopf in ihren grauen Pullover zurück wie eine Schildkröte. Maria hält mir eine Mineralwasserflasche ins Gesicht. Ich lehne mich vor und trinke aus einem roten Strohhalm.
»Ist Ihnen nicht heiß?«, frage ich die Verkäuferin nach einer Weile.
Sie schüttelt den Kopf und deutet auf einen Tischventilator neben der Kasse. Ich nicke und schaue mich um. Mein Blick trifft auf einen kleinen Altar, der auf einer leeren Villacher Bier-Kiste eingerichtet ist. Auf einem handbestickten Tischtuch liegt ein Rosenkranz neben einem gerahmten Porträtfoto von Jörg Haider. Darüber hängt ein kleiner Jesus auf einem Kreuz herum.
»Mein Gott«, sag ich, »sind wir in Kärnten?«
Die Verkäuferin nickt. Ich leere die Flasche in drei Zügen.
Vier Stunden später biegen wir in die Hütteldorfer Straße ein und jemand fängt zu summen an. Der Himmel wird schon kitschig, als das riesige, vergitterte Gelände vor uns auftaucht. Der Eierbecher steigt aus und streckt den Rücken durch. Formulare werden ausgefüllt, und ich lasse den Blick über Wien schweifen. Sommerabende versöhnen mich immer mit dem Leben.

Mit freundlicher Genehmigung des Hanser Verlags

Angela Lehner: Vater unser. Roman. Hanser, Berlin 2019. 284 Seiten, 22,70 Euro. Auch als E-Book erhältlich - www.hanser-literaturverlage.de
Bild: Hanser / Paula Winkler

 

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