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Anita war ungehalten

Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise entfaltet sich zwischen den Nobelbezirken Hietzing und Döbling und den Arbeiterbezirken an der Donau ein erbitterter Kampf um sexuelle und ökonomische Macht. - Hier eine Leseprobe aus dem neuen Roman von Erwin Riess "Herr Groll und der rote Strom".

Anita war ungehalten

VON ERWIN RIESS

Ich fuhr den Donaukanal entlang und bemühte mich das verkitschte Hundertwasser-Schiff Vindobona zu übersehen, das an einem von Hundertwasser verkitschten Heizkraftwerk vorbeifuhr. Mit dem Dozenten hatte ich mich im Lauf der Jahre gut eingerichtet. Wir waren zwar kein eingespieltes Team, uns verband auch keine innige Freundschaft und mit dem Respekt vor den Leistungen des anderen war es, was mich anlangte, auch nicht weit her.

Mamà Nostitz habe ich seither nicht mehr gesehen, und der Dozent vermeidet so gut es geht die Erwähnung ihres Namens. Obwohl unser Verhältnis auch nach Jahren noch als distanziert bezeichnet werden mußte, war ich mit dem Dozenten nicht unzufrieden. Immerhin wiesen unsere gemeinsamen Unternehmungen, die mit häßlichen Krisen und Kämpfen auf Leben und Tod einhergegangen waren, eine positive Bilanz auf: Wir waren noch am Leben, und wir arbeiteten weiter. In Zeiten der Krise war das gar nicht so schlecht.

Ich passierte die Nordbrücke. Vor der Kuchelauer Biegung plagte sich ein Schubverband bergwärts, ein Slowake oder ein Rumäne, vermutete ich, nahm aber keine Eintragung ins Diktaphon vor, da ich die Kennung des Schiffes nicht entziffern konnte. Vor dem Binder-Heurigen parkte ich ein und zog Joseph aus dem Wagen. Aus dem Kofferraum holte ich ein weißes Hemd, schlüpfte hinein und streifte dann ein Jackett mit den breitesten Nadelstreifen nördlich der Donau über. Dazu trug ich einen breitkrempigen Hut aus der Puszta von Hórtobágyi in der großen ungarischen Tiefebene. Wenig später saß ich im verschwiegenen Winkel des Gastgartens, der durch einen Paravent von den übrigen Gästen getrennt war. Ich ordinierte unter einem Blechschild, das an einer Schnur von einem eingeschlagenen Hunderter-Nagel baumelte.

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Anita war ungehalten. Meine Klienten waren ihr zuwider; sie konsumierten wenig, strahlten Verdruß und Elend aus und rutschten nervös auf der Wartebank hin und her. Für Anita waren meine Kunden zappelnde Geschäftsstörungen. Sie würdigte mich keines Wortes, wies nur mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Wartenden und machte auf dem Absatz kehrt. Anita war eine Frau in den späten Vierzigern. Sie war höchstens mittelgroß und von zierlichem, fast knabenhaftem Wuchs. Das blondgefärbte Haar trug sie kurz, ihre mädchenhaften Gesichtszüge, die auch in Phasen von Überarbeitung noch auszumachen waren, kontrastierte sie mit dem beherzten Einsatz von Schminke und Lippenstift, und sie nahm dabei immer jenes Quentchen zuviel, das Männer aus der Vorstadt in Schwingungen versetzt. So war denn ihre erotische Ausstrahlung, wenn sie mit vollem Tablett durch die Bankreihen schwebte, nicht unbeträchtlich. An bewundernde Blicke hatte sie sich längst gewöhnt, anzügliche Bemerkungen unterband sie mit einem scharfen Blick.

Erwin Riess: Groll und der rote Strom. Roman. Otto Müller Verlag, Salzburg 2010, 200 Seiten, 18 Euro.
Mit freundlicher Genehmigung des Otto Müller Verlags.

 

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