Perchtenmilch und Kindersegen

LESEPROBE / STÖGMÜLLER / RAUNÄCHTE ERZÄHLEN

19/11/12 Sagen und andere Geschichten von den Raunächten, mehrheitlich aus einer Zeit, als man diese richtiger „Rauhnächte“ schrieb: Weil vom Räuchern, vom Umgang mit dem Weihrauchfass, kommt der Name. – Den Raunächten gilt ein neues Buch von Nina Stögmüller im Verlag Pustet. Frau Percht ist eine, die traditionellerweise in den Raunächten umgeht.

Von Nina Stögmüller

Draußen war es klirrend kalt. Es lag viel Schnee und die Menschen freuten sich, wenn sie in ihren warmen Behausungen bleiben konnten und das Haus nicht verlassen mussten. Es stürmte und schneite in dieser Nacht besonders stark und niemand wollte einen Schritt vor die Haustür setzen. Am Bauernhof waren alle in der guten Stube versammelt und erzählten sich Geschichten von früher. Die Leute am Hof vertrieben sich damit die Zeit und genossen es, die Abende gemeinsam zu verbringen.

Es war schon spät, als es plötzlich an der Tür klopfte. Der Bauernhof war bekannt für seine Gastfreundschaft, doch dass an jenem stürmischen Winterabend noch jemand an die Tür klopfen würde, damit hatte niemand gerechnet. Der Bauer öffnete. „Wer da?“, rief er in das weiße Schneetreiben hinaus. Er konnte jedoch niemanden erkennen. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, klopfte es wieder. Noch einmal öffnete der Bauer und wieder war kein Mensch zu sehen.

Jetzt gruselte es den Bauern schon ein wenig und er rief nach seinen Knechten, sie sollten ums Haus gehen und nachschauen, ob denn auch alles mit rechten Dingen zuginge. Die Mägde tuschelten und malten sich unheimliche Geschichten aus. Auch der Bauer hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch und war froh, als seine Knechte Entwarnung gaben. Es war weit und breit niemand zu sehen – weder hinter noch vor dem Hof.

Kaum saß der Bauer wieder gemütlich mit seinen Leuten zusammen, klopfte es abermals an der Tür. Jetzt wurde es ihm schön langsam zu bunt. Er konnte sich diesen Spuk nicht erklären und fragte die älteste seiner Mägde um Rat, was es denn mit dem Klopfen auf sich haben könnte.

Die Alte dachte eine Weile nach. Was konnten die Klopfzeichen wohl bedeuten? „Hast du für die Frau Percht auch eine Schüssel mit Milch und Brot vor die Tür gestellt?“, fragte die alte Magd den Bauern. „Nein, das habe ich nicht, aber bei dem Wetter wird doch nicht einmal die Frau Percht umherziehen!?“ Da hatte sich der Bauer aber getäuscht, denn Frau Percht lässt sich auch von schlimmsten Wetter nicht abhalten.

Sofort wurde eine Schüssel mit Milch und Brotstücken vor die Tür gestellt, dazu wurden die gesamten Löffel des Hofes gelegt, denn es heißt, die Frau Percht komme nicht alleine zu Besuch in den Raunächten, sondern mit ihrem Gefolge von Seelen ungetauft gestorbener Kinder. Die Kinderseelen sind die Begleiter der Frau Percht, die darauf warten, wieder auf der Erde geboren zu werden, und die am liebsten zu gastfreundlichen Leuten kommen.

Am Hof wünschte man sich nichts sehnlicher als Nachwuchs, doch die Bäuerin war bis jetzt noch nicht mit Kindern gesegnet worden. Die alte Magd war zuversichtlich, wenn Frau Percht an die Tür klopft, dann würde es im neuen Jahr auch Kindersegen am Hof geben.

Und wirklich, Frau Percht hatte schon auf ihre Verpflegung gewartet. Nachdem Milch und Brot vor die Tür gestellt worden waren, hörte auch das Klopfen auf. Die alte Magd riet dem Bauern, nicht nach Frau Percht Ausschau zu halten, denn sie komme am liebsten still und leise mit ihren Kindlein vorbei.

Als der Bauer am nächsten Tag vor die Tür trat, fand er die Schüssel leer, die Löffel lagen fein säuberlich aufgereiht im Schnee, und an einem davon befand sich ein rosarotes Schleifchen, ein Haarband, wie es kleine Mädchen gerne tragen. Dieses Band brachte der Bauer seiner Frau, die das Zeichen wohl zu deuten wusste. Im selben Jahr gebar die Bäuerin ein kleines Mädchen und war glücklich über den schon so lange erhofften Kindersegen.

Ab diesem Zeitpunkt stellten die Bauersleute jedes Jahr in den Raunächten der Frau Percht ihre Perchtmilch vor die Tür, und jedes Jahr wurde die Bauernfamilie auch um ein Kind reicher. So geschah es, dass dieser Hof bald bekannt war für seinen Kindersegen, und die Frauen aus der Umgebung kamen, um die Bäuerin um Rat zu fragen. Sie gab den Frauen das Geheimnis ihrer Fruchtbarkeit mit auf den Weg und viele von ihnen stellten im nächsten Jahr ebenfalls die Perchtmilch vor die Tür. Das gesamte Tal wurde immer fruchtbarer und menschenreicher.

Frau Percht freute sich, dass sie willkommen geheißen und mit Speis und Trank verköstigt wurde. Und manchmal besuchte sie auch persönlich die Häuser und sah nach dem Rechten, aber das ist eine andere Geschichte.

Nina Stögmüller: Raunächte erzählen. Ein Lese- und Märchenbuch zu den zwölf heilgen Nächten im Jahr. 156 Seiten. Verlag Pustet, Salzburg 2012. € 22.-  www.pustet.at
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Pustet

Im Rahmen der Salzburger Buchwoche wird Nina Stögmüllers Buch „Raunächte erzählen“ vorgestellt: am Montag (19.11.) um 19 Uhr im Freysauffkeller (Waagplatz 2).