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Aber die Sache ist die, dass Tschwirik kein Vogel ist

 LESEPROBE / OLGA MARTYNOVA / VON TSCHWIRK UND TSCHWIRKA

05/04/13 Olga Martynovas „Protagonisten“ Tschwirk und Tschwirka sind reiner Geist und doch viel mehr. Die luftigen Vogelwesen erheben sich mühelos über Welt und Mensch und sind ihnen doch so nahe. Entsprungen, entschlüpft Olga Martynovas ‚Roman über Papageien’ sind Tschwirik und Tschwirka nun in der Lyrik gelandet. Wie der Roman Sogar Papageien überleben uns sprechen auch diese Gedichte von der Zeit, von der Vergänglichkeit und von Sinn und Unsinn. - Hier eine Leseprobe.

Von Olga Martynova

Für Wadim Strukov

Wo Gilgamesch und Enkidu
schluchzten und schrien,
standen die Kakadus um sie,
der Atemgang ihrer strammen Arme ergriff sie.

Wo der Glücksgott Ganesha tanzte,
kam Petipa in den Saal, ungestüm,

ein lockiger Falter,

wo der Garten von Versailles aufwuchs,
heulte das bittere Petersburg

und sein Strom zog Lisa ins Wasser.

Das klassische Ballett haben nicht wir erfunden,
sondern die Reiher über dem Fluß, die Weidenzweige unter dem Eis
bringen diesen Flug hervor.

Die nassen Frösche im Frühling, die dünnen Wurzeln im Winter,
aus dem Saale Vorzeitdunkel
sahen sie sie auf der Bühne, dem Berg.


Vier lange Minuten

1
Vier lange Minuten
lachte eine Schwalbe im Schlaf (die Nächte sind kurz hier)
und murmelte, und sie schwitzte unter dem Flügel,
seufzte dann auf und fl og fort, sie hatte wo zu tun.

– Mit ihren Halbkreisen schnitten die Wiedehopfe die Luft
– (Süden)– Der Morgen, wie Quark war er, blieb ohne Datum
– (hienieden)

Vier lange Minuten
zeigte der Regen mal die Krallen, mal zog er sie ein,
und Tschwirik horchte: la-la,
ein Musikchen fi el von Blättern zu Blättern,
fiel und entglitt (verschwand).

– es wird Zeit, zu eröff nen, wer Tschwirik ist:
– er hat keinen anständigen Anzug.
– tik-tik, sagt ein Vogel, der andere zur Antwort: tschirik,
– also sag mal, was denkt die Tschwirka sich?


2
Aber die Sache ist die, dass Tschwirik kein Vogel ist.


3
Er will etwas aufschreiben,
da löst sich das Heft in Staub auf.
Drei lange Minuten,
und das Heft ist gewesen.

Zwei Minuten – ein zerfallener Wald:
Trödel, Staub, Blöße.
Eine Minute (nicht) brauchte der Berg,
seine Steile in den Teich zu vergießen.

Tschwirik selbst war die Minute.


4
Oh, Tschwirik, wenn ich, ein lächelnder Schatten scheu,
gleite in diese Welt, die wir für Fleisch und Blut einst erbauten (seltsam ist das)
und in die Hänge der Bäume mit ihrem von Borke umschlossenen Leben fliege
hinauf …

Oh, Tschwirka, denk nicht daran, dann verlassen wir diese Länder.

Oh, Tschwirik, sag: ehrlich?

Oh, Tschwirka, meine Tschwirka!

Das hörten die Vögel und begannen zu lachen: hi-hi.

0
Und dahin ist diese Minute,
und dahin ist jene Minute,
die dritte, die vierte,
die erste, die zweite.

Mit freundlicher Genehmigung des Literaturverlages Droschl.

 

Olga Martynova: Von Tschwirik und Tschwirka. Gedichte. Aus dem Russischen von Elke Erb und Olga Martynova. Literaturverlag Droschl, Wien, 2012. 96 Seiten, 16 Euro – www.droschl.com

Olga Martynova liest am Samstag (6.4.) bei den Rauriser Literaturtagen gemeinsam mit Elke Erb und Ludwig Hartinger ab 15 Uhr im Gasthof Platzwirt - www.rauriser-literaturtage.at

Bild: Rauriser Literatrutage / Alexandra Pawloff

 

 

 

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