Der Raubzug beginnt

LESEPROBE / KRAMAR / MISSION MICHELANGELO

02/10/13 Hitler war tot, doch sein fanatischer Gauleiter war entschlossen, den größten Kunstschatz, der in Europa je zusammengetragen worden war, zu vernichten. Tonnen von Sprengstoff hatte er in die Stollen des Bergwerks Altaussee schaffen lassen, wo die für das geplante „Führermuseum“ geraubte Kunst seit 1943 gehortet wurde. In seinem im Residenz Verlag erschienenen Buch „Mission Michelangel“ schildert Konrad Kramar nicht bloß von der Rettung dieser unschätzbaren Kunstwerke durch den Einsatz einer Handvoll Männer aus dem Salzkammergut und einiger Komplizen. Der Historiker schildert auch die Methoden, wie sich die Nazis die Kunst aneigneten. Das beginnt gleich mit den Plünderungen unmittelbar nach dem Anschluss im März 1938, noch vor der Reichskristallnacht.

Von Konrad Kramar

011„Haussuchung. Haussuchung bedeutet: Jede Schublade wird herausgerissen, der Inhalt jedes Schranks wird herausgezerrt, jedes Schmuckstück wird unter die Lupe genommen. Wissen Sie, wie viele Sachen in diesem Haus sind, wie viele Schubladen in diesen Räumen? Die Gestapo-Beamten gehen methodisch vor. Sie haben keine Eile. Sie sind keine Wilden. Die Schubladen in den kleinen Tischen im Salon werden durchwühlt, Papier fliegt herum. Das Arbeitszimmer wird auseinandergenommen … Bilder werden von der Wand genommen, die Keilrahmen geprüft. Die Wandteppiche im Esszimmer, hinter denen sich die Kinder zu verstecken pflegten, werden von der Wand gerissen.“

An einem Märztag bricht der Schrecken in Form von sechs tadellos gekleideten Gestapo-Beamten über die Familie Ephrussi und ihr Palais in der Ringstraße gegenüber der Universität herein. Mehr als siebzig Jahre danach kehrt ein Enkel in das Haus zurück, in dem heute die Zentrale der Casinos Austria untergebracht ist. Streift als Fremder durch die Räume, in die die Familie nie wieder zurückkehren sollte, sucht nach Gegenständen, die er nur aus Erzählungen kennt. Edmund de Waals „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ enthält eine der persönlichsten, schlichtesten und damit beeindruckendsten Schilderungen der Vernichtung und systematischen Auslöschung jüdischen Lebens in Wien durch die Nationalsozialisten. Die Schlüsselstelle dieses melancholisch zwischen Zeiten und Welten wandernden Romans ist die Beschreibung dieser Märztage des Jahres 1938. Es waren gerade einmal 24 Stunden vergangen, seit die deutsche Armee die Grenze nach Österreich überschritten hatte. Und es hatte nicht einmal so lange gebraucht, um in Wien einen Taumel aus trunkener Siegesfreude, Hass und offenem Antisemitismus ausbrechen zu lassen. (…)

Nach dem gewalttätigen Chaos der ersten Tage wurde die Enteignung zunehmend systematisiert. Die Gestapo plünderte nicht, sie erfasste, erstellte Listen. Und dafür holte sie sich Experten, gestellt von allen bedeutenden Kunstinstitutionen der Hauptstadt, vom Kunsthistorischen Museum, vom Denkmalamt, von der Kunstakademie, aber natürlich auch Wiener Kunsthändler.

Sie alle begannen im Auftrag der Gestapo mit der systematischen Erfassung von Kunst und Kunsthandwerk in jüdischem Besitz. In de Waals Buch liest sich das so: „Das Haus gehört ihnen nicht mehr. Es ist voller Menschen, manche in Uniform, andere in Anzügen. Leute zählen die Räume, fertigen Listen der Kunstgegenstände und Bilder an, schaffen Sachen weg. [...] Es geht nicht nur um Kunst, um die Nippes, all die vergoldeten Sachen von den Tischen und Kaminsimsen, auch um Kleidung, um Emmys Wintermäntel, eine Kiste voller Haushaltsporzellan, eine Lampe, ein Bündel Regenschirme und Spazierstöcke. [...] Es ist das seltsame Auflösen einer Sammlung, eines Hauses, einer Familie.“

Die Haushalte und Sammlungen der wohlhabenden jüdischen Familien wurden methodisch erfasst und ausgeräumt. Wer die Listen, die von den Experten angelegt worden sind, heute genauer betrachtet, ist von der Detailliertheit unweigerlich irritiert. Jedes kostbare Glas, jede Vase, jede Dose, die auch nur ein bisschen verziert war, landete auf diesen Listen ? und damit unweigerlich in den Händen der NS-Verwaltung. Die Experten fungierten als Schätzmeister, erfassten den Wert jedes Objekts, versuchten ihn zu beziffern. (…)

Die Ephrussis etwa wurden von der Gestapo verhaftet und so lange mit dem Abtransport ins KZ Dachau bedroht, bis sie schließlich die Papiere unterschrieben, mit denen ihr ganzer Besitz arisiert wurde. Die gesamte Kunstsammlung ging in das Eigentum des Staates über. Wilhelm Freund, Sohn und Alleinerbe des Bankdirektors Richard, studierte zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ in Oxford. Grund genug für das Denkmalamt, eine mögliche Verbringung seiner in Wien deponierten Kunstsammlung ins Ausland zu vermuten und diese sofort „sicherzustellen“, also zu beschlagnahmen. Das Kunsthistorische Museum übernahm die Bilder und setzte sie auf die sogenannte „Reichsliste“ besonders schützenswerter Gegenstände. Mit dem in Oxford sitzenden Freund fing die Behörde an, auf skrupellose Weise zu feilschen. Man versprach ihm, die Ausfuhr einiger für ihn persönlich besonders wertvoller Gegenstände zu genehmigen, wenn er dafür dem Verkauf eines Bildes an die Österreichische Galerie zustimme. Freund ließ sich erpressen, aber der üble Handel kam nie zustande, weil die Ausfuhr aus irgendeinem fadenscheinigen bürokratischen Grund nicht genehmigt wurde. Seine Besitztümer landeten schließlich bei einer Versteigerung. (…)

Hitler sicherte sich das Vorrecht beim Zugriff auf alle jüdischen Sammlungen in Wien. Der „Führervorbehalt“, formuliert von Hitler während eines Besuchs bei Posse in Dresden kurz nach dem „Anschluss“, garantierte seinen persönlichen Anspruch: „Der Führer beabsichtigt nach Einbeziehung der beschlagnahmten Vermögenswerte die Entscheidung über ihre Verwendung persönlich zu treffen. Er erwägt dabei, Kunstwerke in erster Linie den kleineren Städten in Österreich für ihre Sammlungen zur Verfügung zu stellen.“ Kleinere Städte in Österreich, das war natürlich Linz mit dem geplanten Führermuseum, aber auch andere Landeshauptstädte, die Hitler gegenüber dem verhassten Wien aufwerten wollte.

Dem „Führer“ ging es in Wien vor allem um eine, oder eigentlich um zwei Sammlungen; es waren die bedeutendsten privaten Kunstsammlungen, die in Österreich, vielleicht sogar im ganzen deutschen Reich existierten, und sie gehörten den Brüdern Alphonse und Louis Rothschild.

Ihre Enteignung wurde zum vordringlichsten Ziel nach der Machtübernahme in Österreich, von NS-Propagandamedien wie dem Stürmer als heroische Tat inszeniert, bei der das von Juden geraubte deutsche Kulturgut endlich wieder dem Volk zurückgegeben würde. Hitler persönlich hatte immer wieder sein Interesse an den Rothschild-Sammlungen deutlich gemacht. Vieles davon sollte einst Teil seines Führermuseums sein.

Konrad Kramar: Mission Michelangelo. Wie die Bergleute von Altaussee HItlers Raubkunst vor der Vernichtung retteten. 184 Seiten, Residenzverlag 2013, € 21,90 – www.residenzverlag.at
Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlags

Das Buch wird heute Mittwoch (2.10.) um 20 Uhr in der Stadtbibliothek Salzburg vorgestellt. Anmeldung Tel. 0662 8072 2450/ Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!