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Alles fesch und g'sund, sagen die Filme

LESEPROBE / PESCHKA / WATSCHENMANN

17/11/14 Die Nachkriegsjahre sind vorbei. Es geht aufwärts in der Gegenwart und die Vergangenheit wird verdrängt. Lydia, Dragan und Heinrich gehören zu den Entwurzelten der Wirtschaftswunderzeit. Heinrich will als Watschenmann den „Kriegswurm“ freilegen, der sich immer noch tief in den Menschen verbirgt. – Hier eine Leseprobe.

Von Karin Peschka

Krüppel sind viele unterwegs. Invalide, nennt sie Lydia, oder Kriegsversehrte. "Letztes Jahr, wie der Bürgermeister an der Marienbrücke das Band durchgeschnitten hat, und die Menschen drüber gelaufen sind, ist einer in die Donau g'stiegen. Der Jonas ist ein feiner Herr", sagt Lydia. Wie immer, wenn sie vom Bürgermeister schwärmt, sitzt sie ganz aufrecht und spitzt das Gesicht schräg nach oben, dabei kippelt der Kopf leicht nach links. Heinrich sitzt ihr gegenüber. Er legt den Kopf auch schräg beim Zuhören, stülpt den Mund vor, hält sich kerzengerade. Wenn man die Haltung von jemandem annimmt, dann fühlt man, was der fühlt. Das hat sein Vater gesagt, der war Nervenarzt. Bis '45. Aber das weiß hier keiner.Braucht keiner wissen.

"War Oktober bei der Brückeneröffnung", sagt Dragan. "Kann mich erinnern, gutes Wetter. Aber die Donau war schon kalt. Lydia, mače, Kätzchen, was war mit dem Krüppel, ist der ersoffen?" Lydia nickt. "Gleich untergegangen, wie ein Sack. Hat keiner g'sehn, außer mir." Etwas spannt sich in ihr, dreht sich, bewegt sich. "Und?" Gleich haut sie wieder mit dem Löffel auf die Erd', pass auf, Heinrich, pass auf, Dragan. Die Männer kennen den Zustand, erst noch vom Jonas reden mit spitzem Gesicht, und dann kommt die Wut, wegen nix kommt die Wut, ist nicht eingeladen und kommt doch. "Was ist", knurrt es aus Lydia, tief schäumt es in ihr, "was ist, hätt' ich schreien soll'n? Der hat eh nix mehr g'habt vom Leben! Auf zwei Krücken im z'rissenen Mantel und die Schuh z'sammbunden mit einer Schnur, nix hat der mehr g'habt, ganz mager war er, nix dran. Der ist beim Ufer g'standen. Ein Schritt, ich hab's gesehen. Der wollt' nicht mehr."

"Der nicht mehr", sagt Lydia noch einmal leiser, und die Wut zögert beim Aufstieg, soll sie, oder nicht? Will sie?

Dragan will. "Ach", brummt er in seinen Bart, "kann mich gut erinnern. Zwei Tage später war der Zirkus Williams in der Stadt. Weißt noch, der Elefantenumzug?" Lydia schaudert's: "Die Drecksviecher werd' ich vergessen haben." Dragan dreht sich auf seinem Platz, macht es sich bequem zum Finale. "Dušo moja, die haben jeden Tag 300 Krüppel eingeladen." Er kratzt sich am Ohr. "Alle Dauerbefürsorgten von Wien waren im Zirkus." Lydia schaut." In der Zeitung hab ich gelesen, das waren 8.000 Leut'." Lydia schaut. "Unter den 8.000 wär dein Krüppel schon dabei gewesen. So ein Zirkus hebt das Gemüt. Das hätt' er noch haben können. Hätt' er noch gelebt." Dragan stochert weiter, fischt, angelt nach der Wut: "Ich war selbst im Zelt. Am Südbahnhof. War schön." Lydia schaut. Dem Heinrich ins spitze Gesicht. Ins gekippelte Gesicht hinein. Und dann kommt die Wut. Verprügelt Heinrich. Aber wie. Lässt nix aus. "Der Jonas", keucht Lydia zwischen den Schlägen, wobei sie alles nimmt zum Schlagen, was sie kriegt, was ihr Dragan in die wirbelnden Hände drückt, in die blinden, "der Jonas", keucht sie, "ist ein feiner Herr".

Heinrich krümmt sich am Boden. Lydia schlägt, drischt Korn, fährt die Ernte ein. Der Rabe, denkt Heinrich, er stemmt sich. Gegen. Den Sturm. Lydia drischt, zischt. Die blauschwarzen Federn, denkt Heinrich und sieht sie nicht . Ein Hieb trifft ihn am Arm, der nächste am Hals.Ein Striemen, ein Blut, ein Weh, der Rabe stemmt sich, weg ist er. Ohne ihn. Er bleibt, stemmt sich allein. Lydia ist stark im Zorn, eine Furie. "Tisiphone ", flüstert Dragan und schaut ganz zart. Die den Mord Rächende, Rachegöttin. "Wo. Ist. Der. Rabe. Jetzt? He." Jeder Punkt ein Schlag. Jedes Wort gespuckt. "Weg ist er", wimmert Heinrich auf dem Boden. Dragan legt den Finger vor die Lippen: "Nicht wimmern, weißt eh." Lydia tritt gegen Heinrichs Rücken, verliert ihre Schlapfen, tritt sich müde, keucht, hört auf.

Setzt sich. Wischt sich Schweiß von der Stirn. Flecken unter den Achseln. Tellergroß. Stinken wird sie wieder. Wo man sich doch hier nicht g'scheit waschen kann, und für das Volksbad in der Hermanngasse reicht es grad nicht.

Dann steht sie auf und geht. Lässt Dragan zurück, lässt Heinrich und den Zorn zurück. In der Luft bebt er noch. In der Luft schwebt er noch. Webt noch sein Netz und sinkt herab auf den Verprügelten, legt sich auf seine Brust, auf seine Lider, bald wird er einschlafen, auf dem Boden, die Hand verdreht. Dragan hockt sich neben ihn. "Na", sagt er. "Na", murmelt Heinrich, die Augen geschlossen. "War nichts mit dem Raben, hm?" "Ja", sagt Heinrich, "war nichts." "Zu weit weg", sagt Dragan, "zu schnell?" "Zu hoch", sagt Heinrich.

Mit freundlicher Genehmigung des Otto Müller Verlages
Karin Peschka: Watschenmann. Roman. Otto Müller Verlag Salzburg 2014. 300 Seiten, 19 Euro - www.omvs.at

 

Karin Peschka präsentiert auf Einladung des Literaturforums Leselampe in der Reihe „Krieg.Folgen“ ihren Roman am Dienstag (18.11.) um 19.30 im Literaturhaus.

 

 

 

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