Furchtbarerweise ist es ja auch banal...

HERTA MÜLLER

15/01/10 Lange bevor Herta Müller mit dem Nobelpreis geehrt wurde, hat der Literaturverein Prolit sie nach Salzburg eingeladen. Und sie kam - auch als Nobelpreisträgerin. Herta Müller las am Donnerstag (14.1.) im „Kino“ aus ihrem Roman „Atemschaukel“.

Von Folie Andrea

„Ich wollte langsam essen, weil ich länger was von der Suppe haben wollte. Aber mein Hunger saß wie ein Hund vor dem Teller und fraß.“

Manche Sätze brennen sich ein. Wie Feuer oder Frost. Schon beim Lesen. Aber erst recht, wenn einem die zierliche, ganz in schwarz gekleidete Frau, mit den roten Lippen und stechend blauen Augen gegenübersitzt - und sie vorliest.

Man spürt den Kampf, spürt die Kälte, spürt die Nässe, spürt jede einzelne Schneeflocke, spürt die verstummten Tränen in den Gesichtern der Menschen, bis der Atem stockt. Schockiert und hilflos steht man Grauen gegenüber. Da schämt man sich, auch als ganz junger Mensch und Nachgeborene, von all dem nichts gewusst zu haben - und ist zugleich heilfroh, die Lagergeschichten nur aus Geschichten zu kennen und nicht aus der Geschichte.

Rumänien, dessen König den faschistischen Diktator Jon Antonescu abgesetzt und dem verbündeten Deutschen Reich den Krieg erklärt hat, wurde gezwungen, alle arbeitsfähigen deutschen Männer und Frauen – also Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben - zur Zwangsarbeit in die UdSSR auszuliefern.

Vor diesem Hintergrund erzählt „Atemschaukel“ die Geschichte eines Siebzehnjährigen Rumänen, der 1945 in ein sowjetisches Arbeitslager deportiert wurde. Fünf Jahre kämpft er: gegen Hunger und Gier, gegen das Verlangen, weinen zu dürfen, gegen das Heimweh, gegen das Leben und gegen den Tod.

Herta Müller erzählt in einer großartigen Bildhaftigkeit, findet Worte, die sich zu einem inneren Film verdichten. Dieser wird mit all seinen Momenten größter Verzweiflung vorgeführt.

„Denn furchtbarerweise ist es ja auch banal, wenn einer Hunger hat. Oder Angst. Oder friert. Oder sich anscheißt." Von der „Hautundknochenzeit“ ist da die Rede, vom „Hungerengel“.

Durch die Erzählweise von Herta Müller bekommt die Geschichte ein Gesicht, einen Namen – Leo heißt er, der 17 jährige Junge der seine Lagergeschichte erzählt. Die Geschichte des einen Jungen, erzählt gleichzeitig von der bitteren Vergangenheit achtzigtausend geschundener Vertriebener.

Ohne jemals zu werten oder psychologisieren, schreibt Herta Müller einen Roman der durch seine Einfachheit brilliert. Denn kompliziert und schwer verdaulich ist die Geschichte ja an sich. „Atemschaukel“ - nur auf diesem Weg können die Vergessenen aus ihrem dunklen Verlies befreit werden.

Bild: Literaturhaus