Zwei Drohnen bewachen den Schläfer

HINTERGRUND / XAVER BAYER 

10/11/20 „Während Marianne die Radetzky-Kipferl aus der Küche holt, inspiziere ich die Gewehre. Es handelt sich um zwei Mannlicher Schönauer im Kaliber 6,5×54, österreichisches Qualitätsfabrikat, in tadellosem Zustand, und die Patronen in dem Koffer sind sogar Vollmantelgeschosse.“ Heißt es in einer der Geschichten mit Marianne, für die Xaver Bayer den Österreichischen Buchpreis bekommen hat.

Von Heidemarie Klabacher

„Xaver Bayer schreibt das Tagebuch unserer Ängste. Er hat dafür eine Form gefunden und einen Ton, der zeitlos erscheint, meisterlich und suggestiv ist, dazu eine Haltung, die das Erzählte immer auch ironisch reflektiert.“ Das schrieb im Tagesspiegel Ulrich Rüdenauer über Xaver Bayers im Februar 2020 bei Jung und Jung erschienene Geschichten mit Marianne. „In einer vermeintlich unschuldigen, lakonisch schönen Sprache beschreibt der Autor in zwanzig Kapiteln eine desolate, lieblose Welt, in der hinter dem scheinbar Profanen und Unverfänglichen der Horror lauert. Der Irrsinn. Der Verlust“, hieß es in der Badischen Zeitung. „Die scheinbar lose aneinandergereihten Kapitel lesen sich wie einzelne (Alp-)Traumsequenzen, und nicht nur dem Leser fällt es zunehmender schwerer, zwischen Wirklichkeit und Realität zu unterscheiden“, schreibt Verna Resch in ihrer Besprechung auf DrehPunktKultur.

„Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im letzten Akt abgefeuert“, soll Tschechov gesagt haben. So lange dauert es bei Bayer nicht. Innerhalb weniger erzählter Minuten kippt die Wirklichkeit, die vielleicht gar nie wirklich war – oder wirklicher ist als die Wirklichkeit. Davon zeugt etwa jene der Geschichten mit Marianne, die man in diesen Tagen nicht lesen kann, ohne dass diese biedermeierlich-betulich erzählte Alp-Traum-Sequenz sich mit den Berichten vom Attentat in Wien überlagert. „Sie geht ein weiteres Mal in die Küche und kehrt mit einer kleinen Tasse Kaffee zurück, die sie vor mich auf den Tisch stellt. 'Danke', sage ich und nippe daran. 'Mit Kardamom', fügt sie hinzu. 'Danach schaffe ich aber wirklich keinen Bissen mehr', stöhne ich und wische mir nach dem letzten Schluck mit der Serviette über die Lippen. 'Musst du auch gar nicht', sagt Marianne. Im selben Moment gibt es draußen in der Fußgängerzone eine immense Detonation. Klirrend drückt es die Scheiben der Fenster ins Innere, man hört Geknatter von Maschinenpistolen, und grauschwarzer Rauch zieht in die Zimmer. 'Soll ich dir abwaschen helfen?', frage ich Marianne. 'Nein, danke dir, das kann ja morgen die Putzfrau machen', antwortet sie.“

„Ganz alltäglich und entspannt beginnen alle diese Geschichten mit Marianne. Sie beginnen beim Abwaschen oder mit einem langweiligen Nachmittag, an dem Marianne den Erzähler zu einem Ausflug einlädt. Je harmloser der Anfang, desto grausamer und grotesker der weitere Verlauf.“ Das schreibt die Jury, die Franz Xaver Bayer mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet hat.

Unblutig, aber fast noch bedrohlicher ist etwa jene Passage, die der Jung und Jung Verlag derzeit als Leseprobe auf seiner Website stehen hat, in der der Ich-Erzähler plötzlich von zwei Drohnen verfolgt wird, die sich so lange nicht abschütteln lassen, bis er ihre Existenz als selbstverständlich, ja als beruhigend empfindet: „Und wenn ich morgens die Augen aufschlage, sehe ich als Erstes meine beiden Drohnen, die geduldig meinen Schlaf bewacht haben. Ich fühle mich auch beschützter, seitdem ich sie als Mitbewohner habe. Tief in mir fühle ich, dass mir nichts geschehen kann, solange sie bei mir sind. Wie könnte Marianne das begreifen oder gar gutheißen? Sie würde in kürzester Zeit eifersüchtig werden, und ich wäre gezwungen, den Kontakt mit ihr abzubrechen. Ich habe auch kaum noch Lust, meine Wohnung zu verlassen, erledige nur die notwendigsten Einkäufe, selbstredend in Begleitung meiner Eskorte, und bin ansonsten lieber daheim. Dass jemand zu Besuch kommt, will ich ebenfalls nicht mehr. Die Leute würden das alles nicht verstehen....

Xaver Bayer: Geschichten mit Marianne. Jung und Jung Verlag, Salzburg - Wien 2020. 184 Seiten, 21 Euro - auch als e-book erhältlich - www.jungundjung.at
Bild: Jung und Jung Verlag
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