Über die Verbannung von Schafen in der Literatur

RAURISER LITERATURTAGE / LYRIKMATINEE

04/04/22 Ein Spiel zwischen Nähe und Distanz: Zwei Dichterinnen und ein Dichter demonstrierten auf unterschiedlichste Weise, wie der Mensch sich selbst, seine tierischen Genossen und die Umwelt um sich herum wahrnimmt: Emily Artmann, Levin Westermann und Roberta Dapunt.

Von Johanna Maringer

Wie verschieden Lyrik in all ihren Spielarten sein kann! Emily Artmann zeichnet sich besonders durch eine ungewöhnliche Art des Schreibprozesses in ihrem ersten Gedichtband in einem mantel aus fischhaut aus: Sie versetzt sich geistig in bestimmte Personen, die ihr sympathisch erscheinen, ganz unabhängig von etwaiger historischer Bedeutsamkeit. Ohne allzu viel über diesen Menschen zu wissen, schreibt sie eine erste Fassung des Gedichts über ihn. Nach einer eingehenden Recherche wird das Gedicht überarbeitet, wobei die Autorin auf Gemeinsamkeiten und Differenzen stößt. Artmann schafft einen literarischen Einblick in das Innenleben. Doch in welches: In das der Autorin oder der Person, auf die sich das Gedicht bezieht?

Wer denkt, Grammatik sei sinnentleert, hat noch nie aus dem Mund Levin Westermanns den Charakter der Konjunktion „und“ erklärt bekommen. Diesem Wörtchen haftet etwas Protesthaftes an! Denn in Westermanns Gedichtband farbe komma dunkel ist dieses Wort ganz bewusst das häufigste.

Der Schriftsteller lehnt sich damit gegen Vorurteile auf, die klassische Lyrikformen betreffen. Wenn er über Schafe schreiben wolle, solle er über Schafe schreiben können, ohne dabei in die Schublade romantischen Ästhetizismus gesteckt zu werden – so der Autor. Umso mehr nehmen Schafe und andere Tiere einen Stellenwert im Gedichtband farbe komma dunkel ein. Es wird deutlich, dass der Mensch die Einbindung in die Natur verloren hat. „und dann / geht die sonne wieder unter / und dann/ geht die sonne wieder auf“: Diese ständig wiederkehrenden Verse rahmen die einzelnen Teile seines Gedichts, das aus menschlicher Sichtweise auf die Umwelt blickt – in aller Grausamkeit und Ambivalenz. In diese zyklische Komposition wird nun das Wort „und“ eingebettet, das die Gleichzeitigkeit verschiedener Geschehen verdeutlicht.

Eine Gleichzeitigkeit, die den Lesenden mit einem Gefühl der Ohnmacht zurücklässt, da das lyrische Ich die menschengemachte Welt um sich bewusst wahrnimmt und merkt, dass alles – symbolisch und wörtlich gesprochen – brennt.

Im Kontrapunkt dazu steht die Schriftstellerin Roberta Dapunt, die sowohl in deutscher als auch in italienischer Sprache unglaublich melodisch schreibt und liest. Geborgenheit, Bewahrung und Bodenständigkeit charakterisieren ihre Gedichte. Ihr lyrisches Werk wirkt harmonisch, ohne dabei auch nur annähernd kitschig zu werden. Dapunt zeigt die menschliche Verletzlichkeit, wobei sie die Melancholie als stete Begleiterin beschreibt. Besonders interessant ist der Kollaps zwischen Körper und Geist, den die Schriftstellerin als „Synkope“ bezeichnet: Durch den Körper wird die Erinnerung festgehalten, was ein wiederkehrendes Thema in ihren vollendeten Gedichten ist. Ein Gefühl der Sehnsucht entsteht, wenn man ihre Werke liest. Eine Sehnsucht danach, die Nähe zur Natur wiederzufinden.

Für DrehPunktKultur berichten Studentinnen und Studenten von Dr. Uta Degner im Rahmen der Lehrveranstaltung „Literaturbetrieb und literarisches Leben in Österreich (Rauriser Literaturtage 2022)“ am Fachbereich Germanistik von den Rauriser Literaturtagen
Einzelne Veranstaltungen bleiben auf der Website noch vier Wochen lang verfügbar.
Die 52. Rauriser Literaturtage steigen von 29. März bis 2. April 2023 - www.rauriser-literaturtage.at
Bilder: www.rauriser-literaturtage.at / Bilder: Ellis Marie Artmann; Daniel Töchterle; Bettina Wohlfender
 

 

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