Am 3. Oktober waren zweihundert Kartons da

LITERATURARCHIV SALZBURG / REPORTAGE

17/04/12 Das schaut ihm gleich! Nur so kann er geschrieben haben, nämlich genau so, wie er geredet hat - in mitreißenden Kaskaden: Staunend beugt man sich im Literaturarchiv Salzburg über das simple orange Heft und die schwungvolle Handschrift des verstorbenen Dichters Gert Jonke.

Von Heidemarie Klabacher

Das Heft mit den „Endkorrektur=Entwürfen“ zur „Schule der Geläufigkeit“ ist nur einer der vielen Schätze im Literaturarchiv Salzburg, das am Donnerstag (19.4.) eröffnet wird. Der Blick auf das erste Blatt des „Mansardenbuchs“ von Gerhard Amanshauser erweckt nicht weniger Ehrfurcht mit der feinen irgendwie „introvertiert“ wirkenden Handschrift des Schriftstellers und den beiden chinesischen Schriftzeichen…

Originalmanuskripte von Barbara Frischmuth, Peter Handke, Franz Innerhofer, Walter Kappacher, Karl Heinrich Waggerl oder Stefan Zweig werden im Literaturarchiv Salzburg ebenso gehütet, wie Nachlässe längst in Vergessenheit geratener Salzburger Autorinnen und Autoren.

Nach einer Odyssee mit Aufenthalten im Schüttkasten der Festspiele am Herbert von Karajan-Platz oder auf dem Mönchsberg in einem Kämmerchen der Edmundsburg hat das Literaturarchiv eine angemessene Heimstatt gefunden: in den Räumen des ehemaligen Instituts für Kunstgeschichte, das mit der Eröffnung des neuen Uniparks ins Nonntal übersiedelt ist.

Die Adresse ist Residenzplatz 9/2 mit Zugang Kapitelgasse 5-7: Damit ist das Literaturarchiv Salzburg - das Vor- und Nachlässe von Autorinnen und Autoren mit Salzburg-Bezug sammelt, erschließt und der Forschung zugänglich macht - im Herzen der Stadt angekommen. Der Blick hinauf auf die Festung ist atemberaubend, die Aussicht vom Büro des Leiters auf die Dom-Apsis nicht weniger pittoresk. Ein licht durchfluteter Raum soll künftig als Vortrags-, Veranstaltungs- und Ausstellungsraum genutzt werden. Nur eine eisenbeschlagene Tür trennt das Literaturarchiv von der architektonisch einzigartigen Max-Gandolf-Bibliothek.

Die Einbauten und Regale der Kunstgeschichtsbibliothek seien damals für die historischen Räumlichkeiten „maßgeschneidert“ und nun vom Literaturarchiv 1:1 übernommen worden. Auch wenn die Regale eben Bibliotheksregale und für Archivzwecke da und dort ein wenig schmal seien: Manfred Mittermayer und Hildemar Holl sind begeistert vom neuen Domizil, das man vor allem der Initiative von Rektor Heinrich Schmidinger verdanke: „Wenn man einen anderen Rektor hast, den das nicht interessiert, entsteht so etwas nicht“, sagt Manfred Mittermayer, der das Literaturarchiv Salzburg leitet.

Er selbst sei freilich ganz neu auf diesem Posten, betont der Germanist und Thomas Bernhard-Experte, der seit März mit Ines Schütz die Rauriser Literaturtage leitet. Die „Brücke“ zum bisherigen Wohl und Wehe des Archivs sei der Salzburger Germanist Hildemar Holl, der denn auch den Inhalt jeder Schachtel und jeder Mappe kennt, die erstaunlichsten Bezüge zwischen bekannten und unbekannten literarischen Größen herzustellen und die spannendsten Geschichten zu erzählen weiß. Etwa über Alexander Moritz Frey, einen Freund von Thomas Mann, „der von den Nazis schikaniert und verfolgt wurde, und der glaubte, hier in Salzburg sicher zu sein“. Die ständestaatliche Polizei habe ihn freilich „als gefährlichen Kommunisten eingestuft“.

Eine ganz eigenwillige Persönlichkeit entsteigt mit Hildemar Holls Bericht der Schachtel mit der Aufschrift „Alois Grasmayr“: „Das war ein reicher Salzburger Hotelier und Faust-Forscher“, erzählt Holl beim DrehPunktKultur-Lokalaugenschein zwischen den grün gestrichenen Regalen: „Er hat fünfzig Jahre lang den ‚Faust’ erforscht und sogar selber ein ‚Faust-Büchel’ geschrieben, in einer Salzburger Kunst-Mundart.“ Zu seinem Vermögen sei Grasmayr durch seine erste Ehefrau Magda aus der Familie der Mautner-Markof gekommen. Vier Hotels, darunter das Bristol oder die Blaue Gans, hätten ihm gehört. Das Hotel Stein sei als letztes aus dem Familienbesitz verkauft worden.

Vom neuen Literaturarchiv aus legen sich also vielfältigste Beziehungsfäden über die Stadt. Die Buchhändlerin, Malerin, Kinderbuchautorin Romana Hödlmoser sei mit Erwin Grimmelsberger und Thomas Bernhard bekannt gewesen. Der Wiener Architekt und Schriftsteller Julius Pupp, hatte in der NS-Zeit Schreibverbot, sei nach Salzburg übersiedelt, habe nach dem Krieg nicht mehr an die Literatur anschließen können, erzählt Hildemar Holl. Jetzt steht die Archiv-Box mit dem Nachlass von Julius Pupp in alphabetischer Reihung direkt neben der seiner Tochter Felicie Rotter, der bildende Künstlerin, Schriftstellerin und Trakl-Preisträgerin 1967…

Das Literaturarchiv Salzburg ist ein Forschungszentrum von Universität, Land und Stadt Salzburg. Wichtiger Kooperationspartner des neu gegründeten "Salzburger Literaturarchivs" ist die "Stiftung Salzburger Literaturarchiv", quasi die Vorgängerinstitution, die 1977 von Adolf Haslinger ins Leben gerufen worden ist. Ein Großteil der im neuen Literaturarchiv Salzburg aufbewahrten Sammlung von Autographen und Fotos befindet sich in ihrem Besitz.

Ein großer Brocken, der erst jüngst angekauft wurde: Das gesamte Archiv des Residenz Verlags von 1955 bis 2004 sei im Literaturarchiv Salzburg künftig für die Forschung zugänglich. „Damit ist über die Geschäftskorrespondenz, eine umfangreiche Rezensionssammlung und zahlreiche Typoskripte die Tätigkeit eines der prägenden österreichischen Verlage des 20. Jahrhunderts dokumentiert“, so Manfred Mittermayer.

Geplant ist der Erwerb des  literarischen Nachlass von Ingeborg Bachmann, der sich im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek befindet: Er soll in Hinkunft als Kopie auch im Literaturarchiv Salzburg der Forschung zugänglich sein.

Finanziert wird das Literaturarchiv von Stadt und Land Salzburg. Für Ankäufe hat der Mäzen Herbert Batliner, der schon der „Stiftung Salzburger Literaturarchiv“ als Vorsitzender eng verbunden war, eine namhafte Spende „für den Einstieg“ zu Verfügung gestellt, berichten Manfred Mittermayer und Hildemar Holl.

Eng verbunden ist das Literaturarchiv Salzburg mit dem Fachbereich Germanistik, der Universitätsbibliothek und dem Stefan Zweig Centre. Auch mit der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft (im gleichen Gebäude einen Stock tiefer angesiedelt) und mit dem Thomas Bernhard Archiv in Gmunden wird der namhafte Bernhard-Spezialist Manfred Mittermayer kooperieren. Über seine Person besteht zudem eine enge Beziehung zu den Rauriser Literaturtagen, die mit dem Literaturarchiv künftig auch eine Geschäftsadresse und eine Anlaufstelle in Salzburg haben werden.

Das Literaturarchiv Salzburg wird am Donnerstag (19.4.) um 18 Uhr eröffnet und wird Forscherinnen und Forschern, Studierenden und allen an der Literatur Interessierten offen stehen. Am Freitag (20.4.) von 10 bis 16 Uhr und am Samstag (21.4.) von 10 bis 13 Uhr ist "Tag der offenen Tür" im Literaturarchiv – www.uni-salzburg.at
Bilder: dpk-klaba