Der gleiche Wind treibt die gleichen Wolken

HINTERGRUND / ÖSTERREICHS EIGENSINN / JUNG UND JUNG

20/04/12 „Deutsch“ ist nicht gleich „Österreichisch“. Und österreichische Literatur ist keine Untergruppe der deutschen, sondern was Eigenes. Eigenständiges. Das meint auch Jochen Jung und begründet mit der Reihe „Österreichs Eigensinn“ eine „Bibliothek der Österreichischen Klassiker von Gestern und Heute“.

Von Heidemarie Klabacher

„Ein Verlag, der sich um die zeitgenössische Literatur besonders kümmern will, muss sein Augenmerk auch auf die dahinter liegende Zeit richten“, sagt Jochen Jung im Gespräch mit DrehPunktKultur. „Alle Schriftsteller haben vorher etwas gelesen, die österreichischen Schriftsteller besonders die österreichischen Klassiker.“ Da gibt es also Kontinuität. Aber der „Normalleser“ lese zuwenig Österreichische Klassiker, meint Jochen Jung: „Er kümmert sich nicht darum. Er hat sie im Deutschunterricht lesen müssen und meist keine besonders guten Erinnerungen an diese Schullektüre.“

Noch einmal ganz unbelastet anfangen mit Grillparzer und Co? Mit frischen Büchern ohne Schulmief und Eselsohren? Warum nicht. Man kann ohnehin nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen – und Jochen Jung hat zum Einstieg in den Eigensinn Werke ausgesucht, die einem die Schule meist vorbehalten hat: „Nachkommenschaften. Späte Erzählungen“ von Adalbert Stifter und „Der beschriftete Sessel. Autobiographische Gedichte und Texte“ von Ernst Jandl sind die ersten Zeugen von „Österreichs Eigensinn“.

„Bekannte Namen, aber Teile des Werks, die man nicht kennt“: Das ist die Programmlinie von „Österreichs Eigensinn“. Das erklärt auch, warum ausgerechnet etwas so durchaus Sperriges wie „der späte Stifter“ den Reigen eröffnet: „Wenn man auf diesen grandiosen Autor wieder aufmerksam machen will, muss man mit den Texten anfangen, die man nicht gelesen oder irgendwann weg gelegt hat.“ Bei Jandl sind es die Texte, „die mit Österreich zu tun haben“, erklärt Jochen Jung. „Viele meinen, wenn sie ‚Ottos Mops’ aufsagen können, kennen sie Jandl. Das stimmt nicht.“

Von wegen Eigensinn: Der Jandl-Band ist unter dem Titel „der beschriftete sessel. Autorbiographische Gedichte und Texte“ erschienen, nachdem er im Prospekt unter „schrammenmusik. eine heimatkunde“ angekündigt worden war. „Das sind Dinge, die passieren, wenn es - wie in diesem Fall - zwei Herausgeber gibt und einen Verleger, also wenn sich drei Seiten Gedanken machen über den optimalen Titel.“ Man habe sich einfach vor Drucklegung „neu entschieden“.

Im Verlag Kohlhammer erscheint als wissenschaftliches Jahrhundertprojekt der ganze Stifter: „Adalbert Stifter. Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe“. Leider ein wenig teuer, aber trotzdem: Braucht man da auch noch ein einzelnes Stifter-Buch vom Verlag Jung und Jung? Tatsächlich ist man zum Einstieg oder Wieder-Einstieg mit dem Salzburger Verlag besser dran: „Diese Bücher kosten nicht mehr, als unsere anderen Neuerscheinungen auch“, so Jochen Jung. „170, 190 Euro bei Kohlhammer - das wäre die Alternative.“

Man habe freilich auch selber auf Kohlhammer zurückgegriffen, berichtet Jochen Jung: Der Text der Titelerzählung „Nachkommenschaften“ folgt der großen Kohlhammer-Gesamtausgabe. Spannend, wenn vielleicht auch nicht sofort für die Stifter Neu- und Wieder-Einsteiger, ist der akribische Nachweis der Erstdrucke und Druckvorlagen.

Natürlich fällt einem zu allem dem die „Landvermessung“ - vulgo „Autrokoffer“ - ein, das umstrittene Literaturprojekt zum Jubiläum der Republik im Jahr 2005. Die Kassette mit den Büchern österreichischer Autorinnen und Autoren wurde jedenfalls staatlich gefördert und konnte ziemlich günstig verkauft werden. „Österreichs Eigensinn“ klingt doch auch irgendwie auch staatstragend – müsste so was nicht gefördert werden? „Ich wäre glücklich, wenn es in Österreich eine Stelle gäbe, die so denkt, wie Sie es hier nahe legen“, sagt Jochen Jung. Wie jeder Verlag bekomme er Verlagsförderung, aber keine Projektförderung. Und Sponsor habe er bislang auch keinen gewinnen können, obwohl er es im „Bankenbereich“ durchaus versucht habe: „Die Sponsoren denken, dass sie vor allem mit Sport viele Menschen erreichen…“

Der nächste Band in der Reihe „Österreichs Eigensinn“, der weniger bekannte Facetten eines bekannten Autors in den Blick nehmen wird, gilt auf alle Fälle Joseph Roth: „Alle kennen den melancholischen Betrachter der untergehenden Monarchie. Nur wenige wissen, dass er ein blitzgescheiter und hinreißend scharf beobachtender Feuilletonist war.“ Roth habe immer wieder „aus kleinen Beobachtungen ein ganzes Weltspektrum gemacht“. Auch zeigen, so Jochen Jung, die oft nur zwei drei Seiten langen, hinreißend formulierten Essays „viel Elend und soziale Misere, die es schon vor dem zweiten Weltkrieg gegeben hat“. Diese unbekannte Seite Joseph Roths vorzuführen, sei ihm ein Anliegen. „Trübsal einer Straßenbahn. Stadtfeuilletons“ soll das Buch heißen.

Man kann sich viele Bücher und Autoren für die eigensinnige Reihe vorstellen. „Eine Latte von Namen zusammenzustellen, ist noch das Einfachste“, bestätigt Jochen Jung. „Dann gilt es zu fragen: Was gibt es noch von diesen Autoren? Wo sind Lücken?“ Dazu kommen die „Vorlieben und Leidenschaften der Beteiligten“. Eine Vorliebe des Verlagleiters gilt dem Gugging-Autor Ernst Herbeck. Schon in seiner Zeit beim Residenz Verlag habe er „zwei Bände Herbeck“ gemacht, erinnert Jochen Jung: „Das ist ein wunderbarer hinreißender Autor. Durch die besondere Fremdheit, die diese Gugginger alle haben, entdeckt er in den alltäglichsten Sachen, Aspekte, die uns ‚normal’ Schauenden einfach entgehen.“

Adalbert Stifter: Nachkommenschaften. Späte Erzählungen. Herausgegeben von Karl Wagner. Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2012. 365 Seiten, 24 Euro.
Ernst Jandl: der beschriftete Sessel. Autobiographische Gedichte und Texte. Herausgegeben von Bernhard Fetz und Klaus Siblewsik. Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2012. 262 Seiten, 22 Euro. - jungundjung.at