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Der Tod als Herausforderung

LITERATURHAUS / LESUNG ANNA KIM

28/02/2013 „Die Nächte in Amarâq sind eine undurchdringliche schwarze Masse, sie sind das, was man sich unter dem Nichts vorstellt, das Bild, an dem das Auge versagt. Und für einen kurzen Moment könnte man glauben, tot und dennoch zu sein: sich am anderen Ende des Lebens zu befinden. ... Mit der Schilderung des fiktiven Städtchens Amarâq im Osten Grönlands eröffnete Anna Kim ihre Lesung.

Von Alicia Tuchel

Anna Kim las am Donnerstag (28.2.) in der Reihe „Macht.Worte“ des Literaturforums Leselampe aus ihrem im Herbst 2012 erschienenen Roman „Anatomie einer Nacht“.

Elf Menschen aus der kleinen grönländischen Stadt Amarâq haben – unabhängig von einander – in einer einzigen Nacht Selbstmord begangen. Anna Kim las Passagen, in denen man zunächst Einiges über die Selbstmörder erfuhr, Passagen die bereits einen ersten Einblick in Anna Kims Sprachstil boten. Durch die sehr detaillierte und anschauliche Darstellungsweise gelang es, ihr im Kopf der Zuhörer Bilder zu malen: Bilder einer Landschaft, in der Einsamkeit, Kälte und Weite das Leben bestimmen, in der Menschen an die Grenzen ihres Daseins gelangen - und manche der Versuchung, sich aus der oft auch emotionalen Kälte zu befreien, nicht mehr widerstehen können.

„Ich wollte die Landschaft Grönlands sprachlich übersetzen“, erklärte Anna Kim den Zuhörern, als sie nach der fließenden, wellenförmigen Sprachmelodie ihrer Sätze gefragt wurde.

Doch nicht nur über sprachliche Hintergründe des Buches gab die 1977 in Südkorea geborene Autorin Auskunft. Sie erzählte auch, dass sie den Gedanken, Grönland literarisch zu verarbeiten, schon immer gehabt habe, weil sie von der Idee des ewigen Eises so fasziniert war und „weil ich nie wusste, was da wirklich ist“.

Ihre Neugierde, das Land aus der Nähe zu betrachten, konnte sie im Sommer 2008 auf einer Grönlandreise stillen, jener Reise, auf der sie in einem Zeitungsartikel von 16 Selbstmordversuchen in einer einzigen Nacht gelesen hat. Das habe ihr Interesse geweckt und war, nach weiteren Recherchen, auch die Grundlage für den Roman „Anatomie einer Nacht“. Dabei habe sie gar nicht so sehr der Tod dieser Menschen interessiert, als die Frage, „wie ihr Leben zusammenhing“. Diese Verknüpfungen habe sie auch versucht im Buch deutlich zu machen.

„Anatomie einer Nacht“ ist der zweite Teil einer Trilogie, die sich mit der Todesthematik auseinandersetzt. Während es im ersten Band, dem bereits erschienen Buch „Die gefrorene Zeit“ (2008), um Trauer geht, beschäftigt sich das zweite Buch mit dem Sterben. In einem weiteren Band soll es um das Töten gehen. Auf die Frage, warum sich Kim so intensiv mit der Todesthematik auseinandersetzt, antwortete die Autorin: „Weil sie mich als Schreibende an eine Grenze bringt“. Diese Grenze sieht sie sowohl in der sprachlichen als auch in der emotionalen Herausforderung.

Da das Buch hauptsächlich negative Aspekte, wie Einsamkeit, Stille, Verlassensein und Tod, behandelt, war es der mit mehreren Preisen ausgezeichneten Autorin ein Anliegen, dem Publikum auch die einzig lustige Szene im Buch vorzulesen, in der sich ein Bub, ein kleiner Hypochoner, mit etwas Fieber und Schnupfen im örtlichen Krankenhaus auf den Boden legt, um auf den Tod zu warten...  „Ansonsten ist das Buch furchtbar deprimierend. Und ich muss jedem abraten, der ein trauriges Gemüt hat, es zu lesen“, bemerkte sie und erntete dafür ein Schmunzeln von Seiten des Publikums. Auch die Moderatorin des Literaturforums Leselampe war damit nicht ganz einverstanden und gab eine herzliche Weiterempfehlung für „Anatomie einer Nacht“.

Anna Kim: Anatomie einer Nacht. Roman. Suhrkamp Verlag, 2012. 303 Seiten, 20,60 Euro.
Bild: LH/Sven Paustian

 

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