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Wie kann man den (eigenen) Erinnerungen trauen?

RAURISER LITERATURTAGE / SAMSTAG

08/04/13 Wirklichkeitssinn und schriftstellerischer Möglichkeitssinn erwachsen aus dem Staunen, der Spannung zwischen Gewohntem und Fremdem, wurzeln im Erwachsen und damit in der Kindheit: Nach dem traditionsgemäß schweren Ergattern von Sitzplätzen beginnt der Samstag (6.4.) nach alter Tradition - mit Brita Steinwendtner, die mit Schriftstellern über „Kindheit“ spricht.

Von Peter Dammayr, Katharina Ruck, Oliwia Blender und Anna Stockinger

498Ursula Krechel, Olga Martynova und Peter Kurzeck vollziehen eine erzählende Rückwärtsbewegung von heute in die Vergangenheit ihrer Kindheit. Erzählen, wie sie als Kinder eine von Nachkriegswehen gezeichnete, manchmal nur mühsam sich erholende Alltagswelt erlebten, die Reise, die Flucht, den Glauben.

Wie Kurzeck die Todesangst der Erwachsenen, wie Krechel die beklemmenden, überhitzten und dunklen Stuben wahrnahm. Wie diese Mikrokosmen zugleich eine selbstverständliche eigene Welt waren, die staunen und neugierig machte: Alles, was sie in ihren Büchern beschreibe, so Olga Martynova, habe sie erst später begriffen. Natürlich würden die Dinge auffallen, aber solange man sie nicht befrage, würden diese auch nicht sprechen. Als Kind, so Martynova, sei sie einfach dumm und glücklich gewesen. Erinnerungen rücke man sich nicht zurecht, man müsse sie (re)konstruieren, so der Tenor des Gesprächs. Wirklichkeitssinn und schriftstellerischer Möglichkeitssinn aber erwuchsen aus dem Staunen, der Spannung zwischen Gewohntem und Fremdem, Gewohntem und Befremdlichem, wurzelten im Erwachsen und damit in der Kindheit.

Es sei nun an der Zeit „unsere Ohren an der Hand zu nehmen“ – leitet Tomas Friedmann den frühen Samstag-Nachmittag ein. Der Termin ist der Lyrik gewidmet, ein ohrenfälliges Wortkonzert. „Aufmerksamkeit, die ist etwas sehr wichtiges“, betont Fritz Moßhammer, der mit seinem kleinen Orchester, bestehend aus Kuhglocken, einem Holzxylophon und einer Art Alpen-Didgeridoo, die Ohren für den rhythmisierenden Nachmittag zu sensibilisieren versucht. Gemeinsam treten die Dichterinnen Olga Martynova und Elke Erb auf die Bühne, auch der Vortrag aus dem Gedichtband „Von Tschwirik und Tschwirka“ erfolgt bilingual und gemeinsam. Und es wirkt. Der Klang der russischen Sprache schmeichelt den Ohren und die Geschichten der „Engelartigen Fabelwesen“ erwärmen die Herzen. Elke Erb jüngstes Werk „Meins“ knüpft an autobiographische Erlebnisse an und vermittelt einen selbstreflexiven Querschnitt der letzten fünfzig Jahre, inklusive Familiengeschichte, politischer (Ver)änderungen in der DDR, Auslandsaufenthalte und einfach nur Alltäglichem. In ihrer Einführung zur Lesung von Ludwig Hartinger verweist Ines Schütz auf dessen Talent, „leise und sinnschärfende“ Wortansammlungen zu kreieren. Ludwig Hartinger führt uns an einen Ort, „an dem Schilf silbern flüstert“ und auf Wege, „die nach Südosten führen“.

Danach liest Karlheinz Rossbacher, ehemaliger Professor an der Universität Salzburg, aus seinem Werk „Lesen und Leben. Ein persönliches Alphabet“ vor und lässt das Publikum seine große Liebe für Literatur, die ihm zeitlebens ein treuer Freund war, spüren. Dabei spielt die amerikanische Literatur eine prominente Rolle. Auf dem Schiff „Constitution“, das unter anderem schon Alfred Hitchcock als Passagier mit sich führte, reiste Rossbacher in den 60er Jahren nach Amerika und blieb dort ein Jahr – ein Jahr, das ihn in literarischer Hinsicht ungemein prägte. Seine Lebenserinnerungen, die Rossbacher hauptsächlich an Leseerlebnissen und Zitaten festmacht, ordnet er nach dem ABC. Einzelne Buchstaben kommen öfters vor, während J, Q und Y fehlen. Die Biographie bleibt lückenhaft – ein Fleckerlteppich, ein Lebensteppich.

Am Samstagabend – das Gasthaus Grimming wurde inzwischen wieder umgebaut, hat sich geleert und wieder gefüllt – sind wir von Tisch zu Tisch gewandert, aber immer noch hier: Die letzten drei Begegnungen stehen an.

499Den Anfang macht Peter Kurzeck mit einer Lesung aus „Vorabend“, dem fünften Buch seines gewaltigen auf zwölf Bände angelegten autobiographisch-poetischen Romanprojekts „Das alte Jahrhundert“. Er kehrt darin in das winzige, oberhessische Dorf Staufenberg zurück, wo er in der Nachkriegszeit als Kind lebte und macht es als Kosmos erfahrbar.

Dass das Buch gut tausend Seiten umfasst, ist unter anderem damit erklärbar, dass Kurzeck seine Erinnerungen – sogar an Gerüche – sehr genau bewahrt hat und beim Erzählen oft weit ausschweift. Seit über zwanzig Jahren lebt Kurzeck mittlerweile in der Nähe der diesjährigen Kulturhauptstadt Marseille. Sein Leben verlaufe so, wie er sich ausdenken würde, sagt der Schriftsteller.

Die Radiomoderatorin Marion Brasch sorgt mit ihrer Lesung aus ihrem Debütroman „Ab jetzt ist Ruhe“ für lachende Gesichter sowie für Gänsehaut-Momente. In ihre bewegende und berührende Familiengeschichte, die auf dem  Büchertisch von Klaus Seufer-Wasserthal, dem Geschäftsführer der Rupertus-Buchhandlung, die Kasse klingen ließ, mischt sich immer wieder Humorvolles, wie die neckischen Dialoge mit den drei Brüdern. Auf sie ist Marion Brasch, die einzige Überlebende der „fabelhaften Familie“, ungemein stolz. Stolz wären die drei wohl auch auf ihre erfolgreiche Schwester.

Der letzte Abend der 43. Rauriser Literaturtage endet mit einer Lesung von Michael Köhlmeier, einem Meister der Erzählkunst - und einem der namhaften Träger des Rauriser Literaturpreises. Er liest aus seinem neuen Roman „Die Abenteuer des Joel Spazierer“. Ein würdiger Abschluss.

Für DrehPunktKultur berichteten aus Rauris wieder Studierende von Christa Gürtler, die im Rahmen der Lehrveranstaltung "Literaturbetrieb und literarisches Leben in Österreich (Rauriser Literaturtage 2013)" am Fachbereich Germanistik an den Rauriser Literaturtagen teilnehmen.

Als Begleitheft und Nachlese zu den Rauriser Literaturtagen erschien auch heuer wieder die Literaturzeitschrift SALZ. Nachzulesen sind in der Ausgabe 151 Texte des Literaturpreisträger Matthias Senkel und der Förderpreisträgerin Renate Silberer (samt Preisreden) sowie Texte der Autorinnen und Autoren (samt Biographien), die in Rauris 2013 zu Gast waren: ein umfassendes Konvolut. Gestaltet wurde SALZ 151 von der Künstlerin Birgit Pleschberger - www.leselampe-salz.at
Bilder: Rauriser Literaturage (2)/David Sailer (2)

 

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