Rausch und Ekstase in Theorie und Praxis

LITERATURFEST SALZBURG

22/05/13 „Nein, nichts gegen einen Rausch, einen gepflegten Rausch, gewonnen aus gepflegten Bieren oder auch Schnäpsen und Weinen“, sagt Eckhard Henscheid. Der Satiriker und Mitbegründer des Satire-Magazins Titanic wird heute Mittwoch (22.5.) zusammen mit den Autorinnen Ruth Klüger und Eva Menasse und dem Schweizer Poeten Christian Uetz das Literaturfest Salzburg eröffnen.

Von Heidemarie Klabacher

424Auch ein „Räuscherl“ solle ihm zur Not recht sein, „wenn es von Hans Moser gesungen wird“. Wenn es gar nicht anders geht, sei ihm notfalls auch ein „Rausch“ von August Strindberg willkommen, so Eckhard Henscheid. „Ekstase dagegen? Ekstase lieber nicht!“ Ekstase gemahne ihn, so der Satiriker, „allein schon wortatmosphärisch, wortherkünftlich zu sehr an Ekzem oder ähnlich Geschwulsthaftes wie Eklat, Eklipse oder Ekklesiastik…“

Dennoch steht, so die Organisatoren Christa Gürtler, Jochen Jung und Klaus Seufer-Wasserthal, das diesjährige Literaturfest Salzburg unter dem heimlichen Motto „Rausch und Ekstase“. Heimlich? Die haben sich anscheinend leitmotivisch und heimlich eingeschlichen Rausch und Ekstase.

Auch wenn diese „Ekstase“ sich nicht „Extase“ schreibt, wie Eckhard Henscheid es gerne hätte, „also mit deutlichem, unmissverständlichem Bezug zum Extrinken, zum Extra-Festbier“, ist das für ein Literaturfest nicht so schlecht: „Aus sich Heraustreten“, „Außer sich geraten“ muss man erstens nicht nur in Religiöser Verzückung und zweitens hält man sich nicht mehr für Zentrum und Maß aller Dinge, wenn man mal „außer sich“ ist.

Jochen Jung, wie immer ganz Kopf, versteht darunter jedenfalls die Möglichkeit zur Grenzüberschreitung, wie nur die Literatur sie bieten: „Ein Blick in eine Buchhandlung oder vielleicht auch in die eigenen Buchregale zeigt einem, dass die Möglichkeiten, durch Literatur die Welt zu erfahren, so unendlich vielfältig sind, dass man das wahrlich grenzenlos nennen kann. Zudem steckt in der Sprache Energie, und Energie drängt immer nach vorn.“

„Das Gefühl, Grenzen zu überschreiten, bis zum Äußersten zu gehen, kennen die meisten Menschen. Manche riskieren dabei ja auch ihr Leben“, sagt Christa Gürtler: „Ein wenig gefahrloser sind da die Möglichkeiten von Kunst und Literatur, denn auch sie können die Grenzen erweitern, aber doch eher im Kopf und im Herzen.“ Und Klaus Seufer-Wasserthal betont, dass wahrhaft grenzenlos doch vor allem die Abenteuer im Kopf seien: „Sie kennen keine realen Hindernisse, kein Angewiesensein auf Füße oder fahrbare Untersätze. Es ist vor allem die Erfahrung von vorerst undenkbaren Möglichkeiten.“

Folgt auf einen Lese- wie auf einen Alkohol-Rausch auch ein Kater? Analytisch gibt sich Christa Gürtler: „Das Eintauchen in die alltägliche Wirklichkeit zeigt uns andauernd, dass die Lust und der Genuss an der Möglichkeitswelt der Literatur seine Grenzen haben.“ Geeicht Jochen Jung: „Kater? Nein, nie. Alle Bücher, die ich geliebt habe, liebe ich heute noch.“ Pragmatisch Klaus Seufer-Wasserthal: „Höchstens mit einem leichten Brennen in den Augen nach einer durchlesenen Nacht.“

Gab es in der Literaturgeschichte schon einmal Zeiten, in denen es rauschhafter zuging als in der Gegenwartsliteratur, ist auch so eine Frage, auf die aus dem Munde ausgefuchster Leser spannende Antworten kommen. So nennt Jochen Jung die mystische Literatur des Mittelalters oder die Literatur des Expressionismus, vermutet „Rauschhaftes“ aber auch „in vielen Manuskripten, die nie gedruckt wurden, weil sie für andere zu schlecht, für einen selbst aber momenthaft das reine Glück waren“.

Die grenzüberschreitende Literatur sei eher leise und bevorzuge kleine Formen, sagt die Literaturvermittlerin Gürtler. „Vielleicht wird sie einfach nur zu wenig wahrgenommen und wir kennen sie nicht. Der Markt bevorzugt das traditionelle Erzählen und konventionelle Literatur, die wenig berauschend ist.“ Und der Buchhändler Seufer-Wasserthal weiß: „Genuss, Hedonismus, Rausch und Ekstase sind zumindest in der deutschsprachigen gegenwärtigen Literatur etwas Rares. Aber wenn man über manche Sprachgrenzen schaut, ist da schon mehr los und früher sowieso...“

Wie könnte das wieder besser werden? Nur der Verleger Jung wagt sich mit konkreten Vorschlägen an die Autorinnen und Autoren aus der Deckung: „Die Kette etwas mehr loslassen. Und nicht von dem erzählen, was eh in der Zeitung steht.“

Das Literaturfest Salzburg wird heute Mittwoch (22.5.) um 19.30 in der Großen Aula eröffnet - www.literaturfest-salzburg.at
Bild: LFS/Eva Trifft