Alles war genau so und auch ganz anders

LITERATURFORUM LESELAMPE / DAVID WAGNER

20/11/13 „Wie hier das Ringen um Leben und Tod zur Sprache findet, das ist allerleichteste, also in Wahrheit allerschwerste Erzählkunst“, hieß es im Frühjahr in der „Welt“ über den Roman „Leben“, für den David Wagner mit dem Peis der Leipziger Buchmesse 2013 ausgezeichnet worden ist.

Von Heidemarie Klabacher

423„Als ich die Augen öffne, wundre ich mich über das viele Blut in der Wanne. Langsam läuft es in Richtung Abfluss“, zitiert Hajo Steinert in seiner Zeit-Rezension aus dem Roman und beschreibt die Erzähltechnik: „Später erfahren wir, dass der abtransportierte Mann ‚Herr W.’ heißt. ‚Herr W.’ schreibt von sich in der ersten Person. Weil die Gattungsbezeichnung ‚Roman’ dem extrem dramatisch wie hoch existenziell anmutenden Titel des Buchs – ‚Leben’ – nicht zugefügt ist, neigen wir dazu, das Ich des Buchs mit dem Ich des Autors gleichzusetzen.“ Tatsächlich aber spiele es für den Leser dieser literarisch konsequent eingehaltenen Form der Selbstdarstellung eines von Geburt an Kranken, der zum Weiterleben eine neue Leber braucht, eigentlich keine Rolle, ob das geschilderte Geschehen authentisch ist oder erfunden. Der Autor selbst helfe ihm auf die Sprünge, indem er als Motto voran stellt: „Alles war genau so und auch ganz anders.“

David Wagners Roman „Leben“ erzählt Geschichte und Vorgeschichte einer Organtransplantation, erzählt von den langen Tagen und Nächten im Krankenhaus neben den wechselnden Bettnachbarn mit ihren Schicksalen und Beichten. Beim Zuhören bemerkt er zum ersten Mal, dass auch er schon ein Leben hinter sich hat. „Wie der Autor es schafft, seinen Protagonisten – Mitte/Ende dreißig – sich bis ins Innerste seines Körpers und seiner Gedanken herausstülpen zu lassen, ohne den Leser einem bedrängenden, peinlich berührenden Exhibitionismus oder Narzissmus auszusetzen, ist große Kunst.“

David Wagners erzählerisches Verfahren, durchaus an Marcel Proust angelehnt, bestehe darin, so Hajo Steinert in seiner Zeit-Rezension, dass er „ausgehend von Alltagsbeobachtungen im Krankenhaus, in Gegenständen, die er in den Blick nimmt, in Stimmen, die er hört, in Gerüchen, die ihm in die Nase steigen, in Reisen, die er unternommen hat, in Erinnerungen, die zu regelrechten Erinnerungsketten ausgebaut werden, Halt und Trost, schließlich seine Identität sucht“: „Vielleicht“, heißt es einmal, „bin ich ja nur hier, damit mir alles wieder einfällt.“

„Wenn ein erzählerisches Werk zur Folge hat, dass der Leser sich schnellstmöglich einen Organspendeausweis zulegen will, kann es um die Kraft der Literatur im digitalen Zeitalter nicht allzu schlecht bestellt sein“, kommentierte Richard Kämmerlings in der  „Welt“ im März anlässlich der Entscheidung der Jury, David Wagners „Leben“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse auszuzeichnen: „Sicher nicht primär wegen seiner möglichen Wirkung auf die Spenderzahlen in Deutschland, schon klar. Aber warum sollte sich das Engagement von Literatur immer nur auf das Elend des Proletariats oder den falschen Glanz des Kapitals richten?“

David Wagner liest am Mittwoch (27.11.) auf Einladung des Literaturforums Leselampe im Literaturhaus aus seinem Roman, für den er mit dem Peis der Leipziger Buchmesse 2013 ausgezeichnet wurde: Mit Wagners „Leben“ habe man „eines der ungewöhnlichsten und radikalsten Erzählwerke des Frühjahrs ausgezeichnet“: „Es ist kein Roman, sondern der in 277 nummerierte Bruchstücke gegliederte Bericht einer Wiedergeburt, zugleich Totenbuch und Lebensfeier.“

David Wagners Roman „Vier Äpfel“ stand 2009 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Seit seinem Debüt „Meine nachtblaue Hose“ aus dem Jahr 2000 zählt der 1971 geborene, im Rheinland aufgewachsene und seit langem in Berlin lebende Autor „zu den hoffnungsvollsten Stimmen der Literatur“.

Lesung und Gespräch David Wagner: Mittwoch (27.11.), 20 Uhr, Literaturhaus Salzburg - www.literaturhaus-salzburg.at
Bild: Susanne Schleyer (1)