Geschichten werden nicht erfunden

LITERTURHAUS / LESUNG ERICH HACKL

29/11/2013 „So weit ich zurückdenken kann, hat meine Mutter von der Welt ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Ich bin nun, nach ihrem Tod, darangegangen, mich dieser Welt zu versichern, sie mit ihrem Blick und in ihren Worten wahrzunehmen, und deshalb gehört dieses Buch meiner Mutter.“

Von Alicia Tuchel

444Bereits zum 14. Mal war der oberösterreichische Autor Erich Hackl im Literaturhaus zu Gast. In seinem neuen Buch  „Dieses Buch gehört meiner Mutter“ geht es nicht um Schicksale und Geschichten aus dem Leben anderer, wie etwa in „Abschied von Sidonie“ oder „Als ob ein Engel“. Nein, diesmal berührt der Text direkt das Leben des Autors.

Denn „Geschichten werden nicht erfunden. Sie werden vererbt“, man zu Beginn des Buches lesen kann. Dieses Erbe, so der Autor, habe er sein gesamtes Leben lang zu hören bekommen - immer nur aus Erzählungen seiner Eltern, denn er habe „von dieser Welt nur die Dekadenz erfahren“.

Dem Buch „Dieses Buch gehört meiner Mutter“ liegen, wie den anderen seiner auf authentischen Fällen basierenden Werke, Interviews zugrunde: Das erste habe er bereits in den 1970ern geführt, das zweite erst vor sechs Jahren.

Auf die Frage des Moderators Tomas Friedmann, ob Hackl den Tod seiner Mutter vor zwei Jahren als Anlass für das Schreiben seines Buches genommen habe, antwortete dieser etwas zögerlich: „Ja wahrscheinlich, vorher war sie noch da und konnte selbst erzählen.“ „Dieses Buch gehört meiner Mutter“ - ungewöhnlicherweise ein Prosatext in Versform – erinnert nun Situationen und Episoden aus dem Leben seiner Mutter.

Eine kleine Semmel kostete funf Groschen.
Eine Rippe Schokolade zehn Groschen.
Vom Kirtag ein großer Sack Süßigkeiten
mit Schaumrolle und Kokoskuppeln einen Schilling.

Ich hatte es gut: meine Mutter gab mir jeden Tag
eine halbe Semmel mit in die Schule.

Die Rauh Hedwig, die so schön singen konnte,
hatte nie mehr als ein hartes Scherzel in der Tasche.
Oft war es verschimmelt.

443Der Autor vermittelte am Donnerstag (28.11.) bei seiner Lesung im Literaturhaus einen recht umfassenden Einblick in seinen Text, der erst vor kurzem mit dem Kulturpreis des Landes Oberösterreich ausgezeichnet worden ist. Das Buch behandelt die ersten 25 Jahre im Leben seiner Mutter, „Die einzigen, die mir gegenwärtig blieben bis zuletzt in Träumen auf Erden“, wie er die Protagonistin am Ende seines Buches feststellen lässt.

In diesen Jahren geht es um das karge, häufig entbehrungsreiche Leben auf dem Lande; um einen besonderen Kirschbaum in ihrem Garten; um die Familie; um Nachbarn; um die Schule. Auch essentielle Themen werden angesprochen, die die Mutter als Kind und als junges Mädchen bewegten: Glück, Unglück, Krieg und Friede, Liebe und die kleinen Freuden des jungen Lebens, die sich in jeder Generation auf unterschiedliche Art und Weise zu wiederholen scheinen: „Schlitten fahren. Die jungen Katzen im Korbwagen spazieren fahren...Ein Rehkitz mit der Flasche aufziehen...Ein Märchen erzählt bekommen. Den Schaum vom Bierglas schlecken. Auf dem Dachboden alte Bücher finden...Wenn es regnet trocken bleiben. ... Beten. ...sich freuen.“

Der Erzählstil Hackls, den er selbst als „mosaikhaft“ bezeichnet, erinnert an den einer Kurzgeschichte. Ja man könnte sagen, Hackl verfasste in diesem Buch eine ganze Reihe von Kurzgeschichten, die alle durch die Perspektive der Hauptfigur, das „Ich“, verbunden sind.

Häufig beginnen die Absätze nur mit Personalpronomen, sodass sich der Leser aus dem Inhalt erschließen muss, um wen es geht: „Einmal rettete er mich vor dem Ertrinken im Teich. Bei der Erstkommunion durfte er neben mir stehen.“ Erst später wird erwähnt, dass es sich um den Hofhund „Lord“ handelt. Im Gegensatz zu anderen Autoren verwendet Hackl keine kunstvoll ausformulierten Sätze, sondern arbeitet vielmehr mit Schlichtheit und Einfachheit in den einzelnen Aussagen, die keineswegs zu Eintönigkeit führen.

„Der Vater wies uns immer die schwerste Arbeit zu. Das Holzführen im Februar, bei schwerem, nassem Schnee, in den das Gespann bis zum Bauch einsank, so daß wir uns mit ins Geschirr legen mußten. Eine Schinderei von früh bis spät, weil wir gegen seinen Willen die Nacht durchgetanzt hatten, ein einziges Mal und nie wieder.“

Wortwiederholungen und Aufzählungen werden durch einen einzigartigen trockenen Humor verbunden, der das Publikum an einige Stellen zum Schmunzeln brachte, zum Beispiel als die Musikkappelle „mit einem gewaltigen Rausch“ bei einem Begräbnis aufspielte und hier war nicht die Lautstärke der Instrumente gemeint. Aber gerade dieser Erzählstil, der häufig an die gesprochene Sprache erinnert, ist von Hackl gewollt und schien die Hörer zu berühren, da so viel Ehrlichkeit herüberkommt, soviel Authentizität der Mutter zu hören ist, die durch das perspektivische „Ich“ noch unterstrichen wird.

Dass es in der anschließenden Fragerunde zunächst kaum Fragen gab, lag wohl daran, dass das Publikum mit so vielen Denkanstößen „gespeist“ war, die erst einmal verdaut werden mussten. Auch hatte der Autor in der guten Dreiviertelstunde bereits die Hälfte seines etwa hundert Seiten umfassenden Buches lesen können. Mit einem Dank des Moderators „für diese Liebeserklärung an deine Mutter“ endete den Abend.

Erich Hackls „Dieses Buch gehört meiner Mutter“ ist 2013 im Diogenes Verlag erschienen
Bild: Literaturhaus Salzburg / Pedro Timon Solinis