Erfinden, erzählen, die Geschichte fühlen lassen

RAURISER LITERATURTAGE

02/01/16 Dass erforschte Geschichte etwas absolut Unverrückbares festschreibt, glauben nur unbedarfte Geister. Es kommt immer auch sehr auf die Perspektive und nicht zuletzt auf die Art der Darstellung an. Ist da Literatur nicht fast ehrlicher, auch wenn sie im Einzelnen auf Fiktion fußt?

Von Reinhard Kriechbaum

„GESCHICHTE.ERZÄHLEN“, das Thema heuer bei den Literaturtagen Rauris gleich nach Ostern, rührt an spannende Fragen. Alle eingeladenen Autorinnen und Autoren beschäftigen sich in irgendeiner Weise mit Geschichte. Manche stellen fiktive Personen in ein gut recherchiertes historisches Umfeld. Andere nehmen reale Personen her und schmücken Begebenheiten aus, die denen widerfahren sind oder gut hätten widerfahren können. Frei Erfundenes kann – sofern die Schreibenden über Fähigkeit zur Empathie verfügen und seismographische Empfindlichkeit gegenüber vergangenem oder aktuellem Zeitgeist an den Tag legen – genauer an der Wirklichkeit liegen als wohlmeinende historische Aufsätze.

Ines Schütz und Manfred Mittermayer, die zum vierten Mal die Rauriser Literaturtage leiten, formulieren das Besondere eben am schriftstellerischen Zugang so: „Literatur erzeugt ein Beteiligt-Sein“, berge also unmittelbare Identifikationsmöglichkeiten, wie sie „die Geschichtswissenschaft so nicht im Auge hat“. Ein Einzelschicksal „mit seinen aus der Geschichte resultierenden Schädigungen, Verletzungen und Traumata“ könne historische Vorgänge spiegeln, uns ein Zeitpanorama erfahrbar machen und sozialgeschichtliche Aspekte erschließen. „Gerade über den Blick der Ausgegrenzten, der Außenseiter, kann die offizielle Perspektive relativiert werden“, so Ines Schütz und Manfred Mittermayer.

Wer also wird uns von 30. März bis 3. April in Rauris hineinziehen in die Geschichte? Der erste Abend ist wieder international, mit dem Schweizer Alain Claude Sulzer (er war 1984 Rauriser Literaturpreisträger), mit der in Berlin lebenden Russin Nellja Veremej und der in Slowenien lebenden Montenegrinerin Breda Smolnikar. Letztere hat übrigens am eigenen Leib erfahren, dass es gar nicht gut ist, wenn sich jemand in einem – wenn auch eher anstrakt gehaltenen – Historienbuch wiederzuerkennen glaubt. Die Sache ist gerichtsanhängig, und zwar beim Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg!

Elisabeth Reichart, Ludwig Laher und Erich Hackl sind Oberösterreicher, auch die drei nähern sich geschichtlichen Themen. Reicharts „Die Voest-Kinder“ spiegelt Jugenderinnerungen, Laher und Hackl haben ihre Themen weiter weg gesucht und gefunden. Weitere Gäste in Rauris sind (in der Reihenfolge ihres Auftretens dort) Klaus Merz, Rosa Pock, Robert Schindel, Guntram Vesper, Inger-Maria Mahlke und Josef Haslinger. Für Kindergarten- und Volksschulkinder liest die deutsche Schriftstellerin Andrea Karimé.

Ein großes Anliegen ist den Literaturtage-Leitern das „Gespräch über Literatur“ (2.4., 15 Uhr). Der Salzburger Germanist Karl Müller und der Historiker Robert Hoffmann, beide Professoren an der Universität Salzburg, werden unterschiedliche Zugänge zum Thema „Geschichte“ aufdröseln. Dass man überhaupt heuer darauf gekommen ist, hängt natürlich mit dem Landesjubiläum Salzburg 20.16 zusammen. Von diesem Kooperationspartner kommt auch Geld.

Den Rauriser Literaturpreis geht an Hanna Sukure, der Förderungspreis an Carlos Peter Reinelt.

46. Rauriser Literaturtage, 30. März bis 3. April – www.rauriser-literaturtage.at
Bilder: Rauriser Literaturtage
Zum Porträt der Literaturpreisträgerin Hanna Sukure
und des Förderpreisträgers Carlos Peter Reinelt
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