Es ist beschämend

LITERATURHAUS / INSTALLATION / AUSSTELLUNG

04/05/16 Stacheldraht vor dem Literaturhaus. Fünf Meter breit und drei Meter hoch ist der Zaun.Hoffentlich „nur“ eine temporäre Installation und keine düstere Zukunftsvision. Die aktuelle Situation von Menschen auf der Flucht und die unbefriedigende EU-Politik haben Tomas Friedmann zu der Intervention angeregt. Parallel zur Ausstellung „Während des Gehens verloren wir unser Gesicht“ mit Werken von Ceija Stojka.

Von Heidemarie Klabacher

„Der Krieg ist aus, aber wohin mit dem Stacheldraht?“ steht auf dem Transparent auf dem Drahtgeflecht. Es ist ein Zitat der bekannten österreichischen Roma-Künstlerin Ceija Stojka (1933-2013). Das Literaturhaus verweist damit auch auf die Ausstellung „Während des Gehens verloren wir unser Gesicht“ mit Bildern von Ceija Stojka, die am Mittwoch (4.5.) im Literaturhaus Salzburg eröffnet wurde. Bis 7. Juli sind Gemälde und Arbeiten der Roma-Künstlerin zu sehen. Die Ausstellung gehört zum Programm des Festivals „Europa der Muttersprachen“, das heuer Sprache und Literatur der Roma und Sinti gewidmet ist.

Flüchtlinge allgemein und ganz aktuell, Roma speziell und eigentlich seit jeher: Als Feindbilder aufgebaut, als Bedrohung westlichen – oft mehr als ungerecht angehäuften – Wohlstandes und Wohllebens. Man kann nicht oft genug darauf hinweisen.

Einer der Unermüdlichen dabei: Tomas Friedmann. „Neue Zahlen belegen, dass 2015 rund 90.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in die EU kamen, das ist eine massive Steigerung gegenüber den Jahren davor. Die meisten Kinder beantragten Asyl in Schweden, gefolgt von Deutschland, Ungarn und – neun Prozent - Österreich. Doch die Zahl der zurückgewiesenen Kinder und Jugendlichen, von denen viele vor Krieg und Hunger fliehen, steigt an unseren Grenzen.“

Die künstlerische Intervention am H.C. Artmann-Platz vor dem Salzburger Literaturhaus wolle, so der Literaturhausleiter, einmal mehr darauf hinweisen: „Es ist beschämend, wie in Europa mit Flüchtlingen umgegangen wird, wie sich die EU durch einen unanständigen Handel mit einem zunehmend despotischen türkischen Präsidenten, der die Meinungs- und Pressefreiheit mit Füßen tritt, von dem Problem frei zu kaufen versucht. Dass in Österreich wieder Zäune errichtet werden (sollen), um Menschen abzuwehren, erinnert an finstere Zeiten.“

Literatur und die Kunst habe die Aufgabe, sich stärker einzumischen, Menschen aufzuklären und Hirn und Herz zu öffnen, begründet Friedmann sein Engagement, das sich eben auch beim Festival „Europa der Muttersprachen“ zeigt: „Zehn bis zwölf Millionen Roma und Sinti leben in Europa. Noch heute werden sie häufig als Bettler beschimpft und ausgegrenzt werden.“

„Ich habe Angst, dass Europa seine Vergangenheit vergisst und dass Auschwitz nur schläft. Antiziganistische Bedrohungen, Strategien und Aktionen besorgen mich zutiefst und machen mich sehr traurig.“ Dieser Satz – wie auch das Zitat auf dem Stacheldrahtzaun von Ceija Stojka – zieht sich als gedankliches Leitmotiv durch die Veranstaltungen im Literaturhaus. Ihr bildnerisches Schaffen, dem im Literaturhaus nun die Ausstellung „Während des Gehens verloren wir unser Gesicht“ gewidmet ist  spricht von einer Ausnahmekünstlerin. Erinnerungsbilder an die gewaltvollen Szenen, die sich ihr als Kind tief ins Gedächtnis eingebrannt haben, bilden die Vorlagen ihrer Zeichnungen und Gemälde. Die Bilder spiegeln dennoch nicht nur Albträume, sondern auch Traume, Wünsche und Hoffnungen.

Ceija Stojka wurde 1933 in der Steiermark als eines von sechs Kindern einer Lovara-Roma-Familie geboren und kurz vor ihrem zehnten Geburtstag von den Nazis nach Auschwitz, dann nach Ravensbrück und schließlich nach Bergen-Belsen deportiert. „Ihr Werk ist eines der wenigen, das den Genozid an den Roma und Sinti aus der Perspektive einer überlebenden Romni behandelt“, erinnert Tomas Friedmann. „Ein Genozid, der auch in Österreich lange Jahre nicht wahrgenommen wurde und noch immer nicht hinlänglich im öffentlichen Bewusstsein verankert ist.“

Erst Mitte der 1980er Jahre begann Ceija Stojka Worte und bildnerische Ausdrucksmittel für das Erlebte zu finden und durchbrach gemeinsam mit ihrem Bruder Karl Stojka als erste in Österreich das Schweigen über die Verfolgung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus und die Diskriminierung in der Zweiten Republik. Ab diesem Zeitpunkt trat sie in der Öffentlichkeit als Romni und Künstlerin auf und vermittelte unermüdlich ihre Erlebnisse als warnende Erinnerung mit dem Ziel, dass so etwas „nie wieder“ geschieht.

Ihre Werke erregten international große Aufmerksamkeit und wurden in vielen europäischen Ländern sowie in der Türkei, in Japan und den USA ausgestellt, ihre Bücher in mehrere Sprachen übersetzt. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise. Ceija Stojka starb im Jänner 2013.

Literaturhaus – Europa der Muttersprachen
Bilder: LH / Christian Weingartner; APA/DPA/Rainer Jensen; Verein Literaturhaus