Neues von heute, Neues im Alten

MOZARTWOCHE / HOLLIGER, WIDMANN

28/01/11 Ein Gipfeltreffen der dirigierenden und komponierenden Holzbläser im Camerata-Konzert am 27. Jänner: Heinz Holliger und Jörg Widmann sind Stammgäste der Mozartwoche – nicht nur mit Mozart.

Von Gottfried Franz Kasparek

altDenn vor der Pause gelangte die fünfsätzige Version des für Holliger geschriebenen Oboenkonzerts von Widmann zur Uraufführung und fand durchaus ein geneigtes Publikum. Das hat natürlich auch mit der bewundernswerten Vitalität und Virtuosität des 72jährigen Oboisten zu tun, für den Techniken wie die „doppelte Zirkularatmung“ nach wie vor kein größeres Problem darstellen. Holliger hat selbst, in bester Tradition, an der Gestaltung des Soloparts mitgewirkt. Schier unendliche Kantilenen durchziehen das Stück, mitunter unterbrochen von scherzohaft irrlichternden Teilen.

Widmanns Musiksprache bezieht ihren spezifischen Reiz aus der geglückten Verbindung neuerer Techniken mit einer im Grunde spätromantischen und zeitlos emotionalen Ausdruckskraft. In abwechslungsreichen 35 Minuten darf man durchaus an die Instrumentalkonzerte eines Hindemith, ja eines Pfitzner denken. Die Oboe darf „fliegen wie ein Vogel“. Der eingebettete Trauergesang für Betty Freeman, die den vierten und fünften Satz verbindende improvisatorische Kadenz, das symphonische, nahezu hymnische Finale – dies alles ergibt ein gewichtiges Werk, eine willkommene Bereicherung des recht schmalen Repertoires an Oboenkonzerten. Man freut sich auf ein die Eindrücke vertiefendes Wiederhören.

altDie Camerata Salzburg schlug sich auf doch eher ungewohntem Terrain tapfer, angefeuert vom Komponisten. Der trat nach der Pause gleich als Ausnahme-Klarinettist in Erscheinung und spielte mit der ihm eigenen poetischen Klarheit und technischen Leichtigkeit das Mozart-Konzert, begleitet vom wundersam mitatmenden Dirigenten Holliger. Umrahmt wurden die beiden Konzerte von klassischen Symphonien. Mozarts KV 319 erklang zu Beginn mit rustikaler, aber in sich stimmiger  Spielfreude und lebhaften Nuancen.

Die große Überraschung folgte zum Schluss. Felix Mendelssohn Bartholdys „Italienische“, ein fast schon zu oft gehörtes Werk, lag nämlich in der selten gespielten, erst 2001 gedruckten Revision von 1834 auf den Pulten. Und da spitzte man in den doch einschneidend veränderten Sätzen 2, 3 und 4 die Ohren. Das Stück sollte ja eher „Sehnsucht nach der Heimat“ heißen, denn der Komponist konnte mit den Pinien und Zypressen nicht allzu viel anfangen, ließ nur im Kopfsatz der Italien-Freude freien Lauf und träumte sich in den Mittelsätzen zurück in den „deutschen Wald“, wo im Andante der „König von Thule“ auftaucht und im Menuett die Jagdhörner romantisch tönen. In der revidierten Fassung sind die Motive enger verzahnt, das Klangbild ist noch transparenter, die Kontraste sind geschärft. Der finale Saltarello-Satz spiegelt noch mehr die Ambivalenz des neapolitanischen Volksfestes, welches Mendelssohn erlebte – „das Ding ist gar zu lustig“ schrieb er darüber. Da ist einerseits Faszination spürbar, andererseits Bedrohlichkeit, gespeist von jagenden Pizzicati über düsterem Moll-Hintergrund.

Heinz Holliger und die zur Bestform auflaufende Camerata formten das aufregend neu klingende Stück mit harten Akzenten, feinem Klangsinn und stupender Tempo-Dramaturgie. Eigentlich möchte man die „Italienische“ jetzt nur mehr in dieser Version hören!

Rundfunkübertragung am 8.2. um 10.05 Uhr, Ö1
Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher