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Wir bauen eine Stadt...

Von Reinhard Kriechbaum

Königssohn Idamante ist Stadt-Baumeister. Auf einem rampenartigen Metallgerüst sieht man Häuser und Kräne. Schwarzafrikaner werden von Leuten mit Maschinengewehren während der Ouvertüre hereingetrieben und ihrer kargen Habseligkeiten beraubt. Werden sie die Zwangsarbeiter sein für das neue Gemeinwesen? Idamante ist in Liebe entbrannt zur exotischen Prinzessin Ilia, und sie erreicht viel für ihr Volk: Die Sklaven werden freigelassen.

"Idomeneo" beginnt dort, wo eigentlich der Gesellschaftskampf schon vorbei, ein Stück aufklärerische Denkungsart Wirklichkeit geworden ist. Nun gilt es, die Fallstricke aus Vorurteilen zu kappen, die Mauern in den Köpfen einzureißen. Neptun, dieser immer wieder zwischen den Handelnden auftauchende altmodische Gott mit seinem Dreizack, steht für altes, nationalistisch angehauchtes Denken mit all seinen Schattseiten.

Wer Brecht mag, der hat gewiss an der bühnenwirksamen Theaterarbeit des französischen Regisseurs Olivier Py und der unmissverständlichen Botschaft seine helle Freude. Weg mit dem alten Plunder aus Religion (Kreterkönig Idomeneo hat versprochen, den ersten Menschen zu opfern, dem er nach der Rettung aus Seenot begegnet - und das ist sein Sohn). Weg auch mit Xenophobie und Zukunftsangst.

Olivier Py, ein Regisseur aus mediterranen Gefilden, erzählt mit gekonntem Theaterhandwerk eine Geschichte, die bestens ins Heute passt, obwohl barocker Pathos immer wieder lustvoll zitiert wird. Diese Inszenierung geht spielerisch um mit dem Stil-Ballast aus alten Zeiten. Die Kreter schleppen sich mit den Pferde-Statuen ab und wissen wohl selbst nicht, wozu eigentlich. Der Plunder gehörte entsorgt wie das alte Denken.

Es ist beeindruckend, was das handverlesene, gleichgewichtige Sängerensemble leistet, und Marc Minkowski setzt mit den Musiciens du Louvre-Grenoble dem kraftvollen Bühnengeschehen starke Töne entgegen. Wie Richard Croft seine Koloraturen auffächert! Dafür ist er Spezialist, und dieses Können potenziert Marc Minkowski, indem er das Orchester akkurat auf Linie spielen lässt, die Streicher-Artikulationen perfekt synchronisiert mit den Atembögen des Sängers. Croft ist ein tiefenscharfer Gestalter, der die fundamentale Verunsicherung des Idomeneo bloßlegt. Dieser Herrscher fühlt schon beim ersten Schritt an Land, dass seine Zeit eigentlich abgelaufen ist. Die eingebildeten Götter austricksen zu wollen - was für ein hoffnungsloses, im Grunde tragikomisches Unternehmen!

Diskussionsstoff bietet die Besetzung des Idamante mit einer Tenorstimme (so von Mozart selbst vorgesehen in der Wiener Letzt-Fassung). Freilich, das Quartett im dritten Akt ist gewöhnungsbedürftig. Aber es wird auch immens viel an Glaubwürdigkeit gewonnen im Kräftemessen zweier Tenorstimmen. Der Vater-Sohn-Konflikt wird plastischer (und, nebenbei: in der Regie erspart man sich manche Krampflösung zwischen pfundigem Kreterkönig und zartem Sopran-Geschöpf).

Yann Beuron, dieser zarte, in der Höhe nicht immer intonationssichere, aber in den lyrischen Passagen so schonungslos-aufrichtige Sänger ist dafür eine Idealbesetzung. Sophie Karthäuser ist eine Ilia, die ihre Vorzüge ebenfalls im Lyrischen ausspielt. Mireille Delunsch hat sich bei der Premiere am Freitag (22.1.) als Elettra wegen Indisposition entschuldigen lassen, ist dieser Rolle dann aber außer in der finalen Rache-Arie nichts an Intensität schuldig geblieben. Ein kernig-leuchtkräftiger Tenor: Julien Behr als Arbace. Festspielwürdige Nebenrollen: Colin Balzer als schlank artikulierender Gran Sacerdote und Luca Tittoto, als Neptun zuerst viel beschäftigter Statist und dann eine höchst ansehnliche göttliche "Voce".

Immer wieder für Überraschungen gut: Das Bühnenbild von Pierre-André Weitz: Das sieht alles aus, wie mit dem guten alten Märklin-Baukasten gebaut, aber die Konstruktion auf Rollen ist beweglich, die Einzelteile können zu immer neuen Treppenanordnungen verschoben werden. Da entfaltet Metall eine ganz eigene Poesie. Und wenn es gilt, seelische Innenräume zu spiegeln, kommen tatsächlich Spiegel-Galerien vom Schnürboden herunter. All das funktioniert völlig geräuschlos, ist wohl schon bestens eingespielt seit den bisherigen Aufführungen in Aix-en-Provence und beim Musikfest Bremen. Es tangiert/stört also nicht die Musik.

All die musikalischen Vorzüge dieser Aufführung - in Summe der rundesten Mozart-Aufführung seit Jahren am Ort (die Festspiele eingeschlossen) - kommen heraus, weil sich Regisseur Olivier Py bei aller plakativer Erzählfreude vor jeden Zuviel hütet. Am Einsatz des Balletts sieht man das besonders deutlich: Da kommen die Tänzer gleich anfangs und stülpen Elettra die Maske eines Hundes über, womit sie und ihr Hass auf Ilia aufgenfällig dämonisiert werden. Aber es wird beileibe nicht jedes Tanz-Angebot genutzt, und die choreographische Handschrift ist streng, bleibt auf ein kleines Bewegungsvokabular beschränkt.

Und durchaus witzig, wie Olivier Py das finale Ballett löst: gleichsam augenzwinkernd offerierte Spots auf das eben gesehene, ein bilanzierendes Revuepassieren im Fast-vorward-Modus. Das schafft ironische Distanz und gibt uns die Botschaft mit: Ganz so ernst ist die Botschaft vom Utopia in dieser neuen Stadt gar nicht, auch wenn sich Elettra aufs Effektvollste selbst ins Jenseits befördert hat, ist nicht auszuschließen, dass sich manche auch künftig in den Fußangeln alten Denkens verfangen werden.

Bilder: ISM / Christian Schneider

 

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