Natürlich ein Mensch wie unsereiner

Von Heidemarie Klabacher

Gute Oper erzählt immer vom Menschen. Sogar dann, wenn ihre Figuren in Gestalt von Göttern und Helden auftreten und kluge Regisseure alles tun, um die simplen Gefühle von Liebe und Hass oder Gier nach Macht und Einfluss in gewieften Konstrukten zu verschleiern.

Wenn dagegen ein einzelner Sänger wie Andreas Scholl, begleitet von einem Orchester wie dem Freiburger Barockorchester, auch nur eine einzige Arie singt, wird klar und deutlich, dass ein Farnace, der ausgerechnet die Braut seines Vaters liebt, einer „von uns“ ist. Und dann ist es auch ganz „natürlich“, dass einer „von uns“ seinen Gefühlen in immer längeren und komplizierteren Koloraturen Ausdruck verleiht. Selbst die artifiziellste Art des Singens - das eines ausgewachsenen Mannes in Sopran- oder Altlage - wird zum verständlichen Ausdruck allgemein-menschlicher Befindlichkeit.

Freilich braucht es dazu einen Künstler, der ein ebenso brillanter Techniker, wie ein mitreißender Musikant ist. Und Andreas Scholl ist beides. Das Freiburger Barockorchester war - nach der klangschön musizierten, im Gestus aber sehr verhaltenen Wiedergabe der Haydn-Sinfonie Es-Dur Hob. I:91 - mit dem ersten Ton zur Arie des Farnace „Venga pur“ aus „Mitridate, Re di Ponto“ kaum wieder zu erkennen.

Oder besser gesagt: Genau so kennt man die „Freiburger“! Temperamentvoll, musikalische Funken schlagend und brodelnd vor Spiellust bei gleichzeitiger Reflexion des eigenen Tuns, die unschönes Originalklang-Rumpeln zu verhindern weiß. Diesmal also ohne Dirigenten - René Jacobs ist krank - von Konzermeisterin Petra Mülljans vom ersten Pult aus geleitet.

Der Funken, der mit dem Auftritt von Andreas Scholl gezündet wurde, entfachte einen Flächenbrand: weit hinaus über die Arie des menschenfreundlichen Ascanio aus Mozarts „Ascanio in Alba“ und „Che farò senza Euridice“, die unvergleichliche Arie des Orfeo aus Glucks „Orfeo ed Euridce“ (diese hat man sogar von Andreas Scholl selber noch schlichter im Ausdruck und damit fast noch bewegender gehört).

Aber der Funke war gezündet - und die abschließende „Jupiter-Sinfonie“ war ein aufregendes mitreißendes Feuerwerk aus Rhythmus und Klang.

Bild: Wolfgang Lienbacher