Sehnsucht nach der heilen Welt

Von Gottfried Franz Kasparek

Die sympathische 30jährige Komponistin Dobrinka Tabakova, in London wohnhafte Bulgarin, hat ihr Handwerk immerhin auch noch bei Xenakis gelernt. Bestimmender für ihren Stil war aber zweifellos ein anderer Lehrer, nämlich John Adams. „Sun Triptych“ ist ein malerisches Stück für Violine, Cello und ein bisschen Schlagzeug. Die Sonne geht ungeheuer romantisch auf, bescheint untertags minimalistisch singende Vögel und versinkt im goldenen Dunst einer idealen Landschaft.

Es ist immer noch mutig, derart radikal gegen den Avantgarde-Mainstream zu schreiben. Dobrinka Tabakova ist eine hervorragende Instrumentatorin, sie kann sehr gut Stimmungen kolorieren und klingend meditieren. Ein wenig mehr an Originalität könnte noch dazu kommen. Oft schrammt diese Musik haarscharf am Rande des Kitsches vorbei. Dass Letzterer fern blieb, lag auch an der dem Geiger Gidon Kremer eigenen zurückhaltenden Leidenschaft und am fein ausgewogenen Spiel seines Orchesters, weniger am eher pauschalen Wirken der Cellistin Giedre Dirvanaskaite. Das Publikum nahm die Novität als willkommenen Ohrenschmaus herzlich entgegen.

Wie man alt und doch neu schreiben kann, war in Alfred Schnittkes „Suite im alten Stil“ zu erfahren. Schnittke wollte bewusst „naiv“ komponieren. Doch kam dabei anno 1972 kein hübsches Barockimitat heraus, sondern ein Meisterstück über die Sehnsucht nach der heilen Welt der Klänge und Rhythmen, welches spätestens in der finalen Pantomime witzig und doch bestürzend aus dem Ruder läuft. Die Kremerata interpretierte das mit großer Spiellaune und Präzision, noch dazu ohne Dirigent.

Für das Mozart-Glück sorgte am Beginn Gidon Kremer, der das D-Dur-Violinkonzert KV 211 mit jener sensiblen und intelligenten Eleganz musizierte, die ihn zu einem der großen und unverwechselbaren Interpreten unserer Zeit macht. Der samtene, weiche und doch kernige Klang der Streicher der Kremerata war hier und auch im „Jenamy-Konzert“ KV 271 genussvoll zu erleben. Schönste Partnerschaft herrscht in diesem Ensemble, sogar die Umbauten am Podium werden in Eigenregie erledigt. So saß im denkwürdigen Finale des Konzerts der Pianist Jonathan Biss als inspirierender Primus inter Pares mit dem Rücken zum Publikum mitten im Orchester und ließ das wundersame Werk in allen poetischen Farben schillern. Unvergesslich, wie er das am Ende bis zum Verstummen traurige Andantino mit nuancierter Zartheit aus dem Steinway zauberte, wie klar und kraftvoll das Menuett im so vielschichtigen Finalsatz erklang und wie musikantisch leuchtend der Gesamteindruck blieb. Großer Jubel.

Bild: ISM / Wolfgang Lienbacher