Wenn Kafka von der Ballerina träumt

Von Gottfried Franz Kasparek

Der Nachmittag ist wohl nicht gerade die ideale Zeit für ein Konzert, eher für einen Kaffeehausbesuch, aber das kann man vergessen, wenn eines der echten Meisterwerke der Neuen Musik derart belebend gespielt wird. Und der leider nicht ganz gefüllte Solitär bot mit dem verschleierten Blick in die Kälte den idealen Aufführungsort für einen Solitär der Kammermusik, in dem all die Düsternis, die Ausweglosigkeit, das sprichwörtlich „Kafkaeske“ berührend Klang werden, ohne dass man deswegen in Depressionen verfallen muss. Denn Kurtág hat ein unglaubliches Gespür für den bitteren Witz dieser Literatur, für doppelbödige Heiterkeit und eine echte ungarische Musikantennatur noch dazu.

Wenn Kafka von der Ballerina Eduardova träumt, die in der Elektrischen von Geigen begleitet wird, dann ist das ein umwerfendes Naturereignis, zumal wenn eine Performerin wie die Kopatchinskaja die stoische Sängerin umkreist und das pfiffige Violinsolo am Schluss mit unüberbietbar delikatem Humor und herzzerreißend natürlichem Sentiment in den Raum schleudert .

Anna-Maria Pammer kostete all die feinen Nuancen der Texte und deren sprachmalerische musikalische Umsetzung mit größter Virtuosität, souveräner Attacke und gefühlvoller Phrasierung perfekt aus. Kein Wunder, dass sich Meister Kurtág am Ende vor ihr verbeugte. Wunderbar klappte die Übereinstimmung der beiden Musikerinnen. Patricia Kopatchinskaja ist eine derart famose Interpretin zeitgenössischer Musik, weil sie von dem, was sie spielt, überzeugt ist, weil sie nicht den dunkel dräuenden, missionarischen Ernst mancher Avantgarde-Zirkel verströmt, sondern farbiges und sinnliches, mit bloßen Füßen geerdetes Musikantentum. Ihre technische Perfektion ist über allen Zweifel erhaben, aber dazu kommt in jedem Takt eine von innen glühende Expressivität, welche der alle Möglichkeiten des Violinspiels auskostenden und tief in die Seele forschenden Musik Kurtágs auf ideale Weise entspricht. Eine Sternstunde!