Ein Mozart-Werk neu geschenkt

Von Reinhard Kriechbaum

Als ob es größte Überwindung kostete, sich an den Herrn um Erbarmen zu wenden: Marc Minkowski lässt das Kyrie zögerlich beginnen, lässt die Musiker gleichsam Fuß vor Fuß setzen. Und im "Christe"-Abschnitt scheint das Metrum beinah ins Stocken zu geraten. Kostet es solche Überwindung, sich dem Herrn bittend zu nahen? Dafür ist im Credo jede Befangenheit wie weggewischt, da durfte es im Orchester aufs Volkstümlichste rumpeln und pumpeln: Man hat sich diesen ersten Teil des Glaubensbekenntnisses vorstellen können wie eine Wallfahrt, an der die unterschiedlichsten Leute teilnehmen, schlichte Gemüter so wie Menschen aus besseren Schichten.

Vielleicht hätte Mozart an diesem Sonntagmorgen (31.1.) im Großen Saal des Mozarteums selbst gestaunt, was er da eigentlich komponiert hat. In den doppelchörig angelegten Teilen, etwa im Sanctus, hat Minkowski gar nur auf zwei mal vier Sänger zurückgegriffen. Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob eine solistisch besetzte Gruppe Forte singt oder ob ein Chor mal ein wenig aufdreht. Und auch in den leisen Passagen ändern sich die Gewichtungen zum Orchester hin logischerweise radikal, die Spannungsverhältnisse sind auf den Kopf gestellt. Das fordert andere Artikulation, andere Atembögen: Es gilt also nicht mehr und nicht weniger, die Basics neu zu durchdenken.

Man hat einfach nur staunen können über die neuen Einblicke in die Feinmechanik einer nur scheinbar wohlvertrauten Musik. Es ging nicht um die Äußerlichkeiten - aber freilich hochte man auf, als im "Qui tollis" trotz dem vokalen Forte und der Streicher-Schläge die Orgel unerwartet durchtönte und flächige Wirkung machte. Gleich drauf: "Miserere"-Rufe von einem sagenhaft innigen Pianissimo, in geradezu beängstigender Welt-Entrücktheit.

Marc Minkowski nutzte die besondere Option der kleinen und flexiblen Besetzung auch für die jeweilige Auswahl der Solisten. Es macht natürlich auch da einen Riesenunterschied, wenn man für die Innigkeit des Christe (Camilla Tilling) oder die zwar koloraturenreiche, aber nach warmem Timbre verlangenden "Laudamus te" (Julia Lezhneva) andere Stimmen wählen kann als für die beiden dialogisierenden Frauenstimmen im "Domine Deus" (die silberglitzernde Joanne Lunn und die höhensichere, aber eben dunkler gefärbte Judith Gauthier): Das gibt völlig neue Optionen auch im Zusammenspiel mit dem Orchester, den für diesen Vormittag ungemein genau vorbereiteten Musiciens du Louvre-Grenoble.

Geradezu überirdisch schön die "Bläser-Concertrante" des "Et incarnatus est": so langsam im Zeitmaß, dass Camilla Tilling jede Zweiunddreißigstelnote hat ganz genau hat abstimmen können auf das wundersame Soloistentrio (Traversflöte, Oboe und Fagott).

Fünfzig Minuten alles in allem, in denen dem Publikum im Großen Saal des Mozarteums ein Werk neu geschenkt wurde.

Bild: ISM / Erika Mayer