Ich liebe dieses milde Sterben

MOZARTWOCHE / GERHAHER / MINGUET QUARTETT / HUBER

30/01/12 Das „Notturno“ von Othmar Schoeck für Streichquartett und Singstimme aus dem Jahr 1931 ist ein todtrauriger Abgesang auf die Liebe und das Leben. Mit der Interpretation des Baritons Christian Gerhaher öffnet sich ein erschütternder Blick in die tiefsten existentiellen Nöte des Menschen.

Von Heidemarie Klabacher

altEinen „Kranz schauriger Lieder“ hat Franz Schubert selber seine „Winterreise“ genannt. Das könnte man auch von Othmar Schoecks „Notturno“ sagen. Wenn auch die Krähen nicht so blutgierig nach dem Verzweifelnden hacken und es nicht der Sturm ist, der die Blätter von den Bäumen reißt. Sechs Gedichte von Nikolaus Lenau hat Schoeck zu seinem "Notturno" op. 47 verschmolzen, zu einer einzigen großen „Szene“ mehr, denn zu einem herkömmlichen Liederzyklus.

Nikolaus Lenau malt die existentielle Not nicht mehr in solch heftigen Farben und Bildern wie Schuberts Dichter Wilhelm Müller (1794 - 1827). Lenau (1802-1850) erschüttert allein schon im Wort mit einer Palette pastellgrauer Töne des absoluten Nichts: „Die Vögel haben ausgesungen und dürre Blätter sinken leise“, heißt es im vierten Stück, „Waldlieder“: „Die Blätter fallen stets, die müden“.

Tatsächlich klingen romantische Topoi wie Blätterrauschen, Quelle oder Bächlein auch in den Gedichten von Nikolaus Lenau herüber. Schon Schuberts/Müllers „Bächlein“ in der „Müllerin“ hat keine Antwort gegeben. Doch immerhin rauscht es fröhlich im Erlengrund. Lenaus „Wanderer“ (auch der „Wanderer“ als Bild der Rastlosigkeit ist bei Lenau zu finden) dagegen bekommt eine Antwort: „Und eines toten Freund gedenkend lausch ich nieder zum Quell, er murmelt stets: Wir sehen uns nicht wieder."

Mehr als jeder andere Sänger scheint Christian Gerhaher „ungeschützt“ von der Rolle des Künstlers - ohne den Sicherheitspanzer des Fracks oder die Reißleinen des Konzertrituals - als eben dieser „Mensch an sich“ aufzutreten. Mit leiser und dennoch in jeder Phrase tragfähigen Stimme, mit seiner stupenden Textdeutlichkeit hat er mit dem Schoeck-Notturno nicht nur ein selten gesungenes Werk auf technisch höchstem Niveau präsentiert, sondern auch wieder einmal deutlich gemacht, das große Kunst ganz ohne große Geste auskommt.

Begleitet wurde Christian Gerhaher auf diesem Psychotrip vom Minguet Quartett, das die klaren Strukturen der durchaus opulenten Komposition brillant hörbar gemacht hat. Im zweiten Teil des Nachmittags folgten sechs kaum weniger dramatische Gedichte und das "Requiem" nach Nikolaus Lenau von Robert Schumann. Auch Schumann hat, wie Schoeck, das Gedicht „Der schwere Abend“ vertont: „Und sternlos war die Nacht, so ganz wie unsere Liebe, zu Tränen nur gemacht“. Gerold Huber am Klavier begleitete den Sänger auf diesem weiteren scheinbar so sanften Weg der in die Ohnmacht des Seins. Dramaturgisch genial die Wahl des abschließenden Liedes „Requiem. Altkatholisches Lied“, das einzige, in dem Christian Gerhaher seine Stimme zu ihrem vollem Volumen aufblühen ließ, und das ohne allen Kitsch das Heil verheißt.

Mozarts Klarinettenquintett KV 581, mit dem hervorragenden Klarinettisten Sebastian Manz, war danach ein schwaches - und auch nur ehr schwach-beliebig gespieltes - Trostpflaster.

Bild: ISM / Sony / Alexander Basta / Wolfgang Lienbacher