Eine „Akademie“ wie einst, aber von heute

MOZARTWOCHE / MUSICIENS DU LOUVRE, MINKOWSKI

05/02/12 Die als „Akademien“ bezeichneten abwechslungsreichen Konzertmarathone der Klassik werden in der Mozartwoche wieder lebendig, wenn in einem Konzert Chor-, Orchester- und Kammermusik aufeinander folgen. Mit Marc Minkowski und Jörg Widmann ist eine solche Reise durch Besetzungen, Stile und Jahrhunderte ein reines Vergnügen.

Von Gottfried Franz Kasparek

altZunächst verkündete Maestro Minkowski eine Überraschung, nämlich die Einfügung eines Stücks von Wilhelm Friedemann Bach. Zwischen dem D-Dur-Magnificat BWV 243 Johann Sebastian Bachs und der „Litaniae de venerabili altaris Sacramento“ KV 243 Wolfgang Amadé Mozarts erklang ein Präludium samt Fuge, wie es Mozart bei van Swieten kennen gelernt und bearbeitet hatte, chorisch besetzt und von „Les Musiciens du Louvre Grenoble“ mit geradezu frühromantischer Eleganz und Tiefe gespielt - eine wunderbare Verbindung zwischen Thomaskantorei und Salzburger Dommusik. Nicht nur aus Gründen des markanten Tonartenwechsels zwischen den beiden Hauptwerken.

Dass im Magnificat ein nur zehnköpfiger, die Solostimmen beinhaltender Chor auf der Bühne des Hauses für Mozart stand, war nicht anders zu erwarten. Minkowski hatte in seiner Eingangsrede pointiert darauf hingewiesen, dass Bach nie mehr als zehn Sänger zur Verfügung hatte. Die Frage, was Bach beim Anblick der großen Säle von heute getan hätte, lässt sich freilich nicht so leicht beantworten. Dass sich diese im Vergleich zum Orchester doch recht kleine Gruppe so gut durchsetzen konnte, spricht für die Akustik, aber auch für die sonore Qualität des Estnischen Philharmonischen Kammerchors und die Gabe der Sopranistinnen Emmanuelle de Negri und Julia Lezhneva, der Altistin Nathalie Stutzmann, des Tenors Colin Balzer und des Bassisten Luca Tittoto, sich loyal in ein Ensemble einzufügen. Bach erklang also orchestral und vokal in gebührendem Glanz.

altGab es nach dem Magnificat eine verdiente Applauspause, so ging es nach Friedemanns Fuge praktisch pausenlos weiter. Mozarts Salzburger Kirchenmusik pendelt in der Rezeptionsgeschichte zwischen der Wahrnehmung als nette Gelegenheitswerke und pseudo-theologisch betrachtet als „Heiligtümer“ des Glaubens – die Wahrheit liegt wohl in der Mitte und ist von Stück zu Stück zu differenzieren. Die Sakramentslitanei jedenfalls lässt den heute stellenweise schwer erträglichen bis lächerlichen Text – „Wein, der Jungfrauen fruchtbar macht“ – vergessen, ja hebt das „Kyrie eleison“ zur überkonfessionellen Meditation über Erbarmen und Liebe empor. Zumal wenn ein Meister wie Minkowski mit einem Meisterorchester hörbar die höheren Weihen der Reife erreicht hat und nicht mehr so sehr auf hurtiges Tempo setzt, sondern Musik atmend fließen lässt.

altDas schon erwähnte Vokalensemble war auch hier famos, Julia Lezhneva konnte für ihre beseelte Sopranarie zu Recht Extrajubel entgegennehmen. Der gegenüber Bach vervierfachte Chor schlug sich gut, wenn auch nicht exzellent. In der Zugabe - dem ersten Satz aus Joseph Haydns Symphonie „Der Bär“ – durften die „Musiciens“ es dann doch noch nach Herzenslust knallen lassen.

Nach einer Pause und soviel barockem und klassischem Ebenmaß eine blitzgescheite Studie; Jörg Widmanns 5. Streichquartett „Versuch über die Fuge“. Ein dramaturgisch perfekt gewähltes „Nach(t)stück“ nach den Predigerworten des „Alles ist eitel“. Das Minguet Quartett als beherzte Kampfgruppe für die Fuge, die immer wieder entflieht. Claron McFadden als ebenso stimmschöne wie exakt artikulierende Sopransolistin. Und am Ende, am „Grund der Dinge“ scheint berückend schöne Musik „gar tief“ zu ruhen. Da konnte man an Peter Ruzickas am Nachmittag im Solitär ebenfalls vom Minguet Quartett mit Mojca Erdmann als Solistin gespieltes, grandioses 6. Quartett „Erinnerung und Vergessen“ denken, in dem ganz zum Schluss die Tonalität als eine alte und neue Möglichkeit des Ausdrucks auftaucht.

Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher