Am Kammermusik-Olymp

Von Gottfried Franz Kasparek

Freilich, es war Musik des Übergangs, die am Programm stand. Arnold Schönbergs Kammersymphonie op. 9 und 2. Streichquartett op. 10 sind gemeinsam der Urknall der Atonalität, wurzeln allerdings noch unverkennbar in der Spätromantik. Das op. 9 in der Fassung Anton Weberns wurde eingangs von Carolin Widmann, Violine, Janne Thomson, Flöte, Jörg Widmann, Klarinette und Dénes Várjon, Klavier, konkurrenzlos schön, transparent und gefühlvoll durchpulst interpretiert. Das op. 10 am Ende mit seinen beiden Lied -Sätzen erinnert gar nicht so wenig an die Orchesterlieder eines Mahler, sogar Richard Strauss, wenn eine Sängerin wie Claron McFadden mit kristallener Sopranstimme, emotionalem Volleinsatz von zarter Lyrik bis hin zum expressiven Aufschrei und charismatischer Erscheinung sich der Texte Stefan Georges annimmt. Schließlich ist dieses Stück ja auch romantische Bekenntnismusik voll persönlicher Tragik. Mit dem „Lieben Augustin“- Zitat im dritten Satz war nicht nur die Tonalität, sondern auch die Ehe des Komponisten kaputt. Zumindest schien es so, denn beide lebten weiter.

Das Minguet Quartett spielte Schönbergs „Sopranquintett“ – ein roter Faden zieht sich mit solchen starken Stücken gewinnbringend durchs heurige Programm – mit spürbarer Begeisterung und Verve. Dass Ulrich Isfort, Annette Reisinger, Aroa Sorin und Matthias Diener auch die Tradition des Quartettsspiels pflegen, kommt wie immer der neueren Musik zu Gute. Analytische Trockenheit kommt nicht, musikantische Spiellaune und Farbenreichtum kommen sehr wohl vor in der Interpretation und das tut den oft doch spröden Klängen gut. Ein wenig könnten die vier jungen Leute noch an der Präzision arbeiten, um sich den mit formidablen CD-Aufnahmen bereits erreichten Platz am Olymp der Quartettszene noch besser abzusichern.

Zwischen den Schönberg-Stücken gehörte diese Matinee Jörg Widmann. Wahrlich Kontraste zur Schönberg-Schule sind die „Kontraste“ Béla Bartóks, die 1938 gleich einmal den Weg daran vorbei und darüber hinaus gewiesen haben. Neue Musik, tief verankert in der Volksmusik Ungarns und doch immer noch modern in ihrer konzisen Formulierung, direkt anspringend in Rhythmik und Witz. Carolin und Jörg Widmann sind ein singuläres Geschwisterpaar mit Geige und Klarinette, Dénes Várjon ein „native speaker“ dieser Musik auf gleichem Niveau. Köstlich, wie die motivischen Bälle da hin- und hersprangen, wie Melodisches ausgekostet und Tänzerisches lustvoll akzentuiert wurde. Und nach der Pause erklangen die drei Stücke für Klarinette und Klavier, in denen Alban Berg die neue Freiheit wundersam zur alten Gefühlstiefe genutzt hat. Besser, konzentrierter, berührender als Jörg Widmann kann man das nicht spielen.