Talentproben und ein Meisterstück

Von Gottfried Franz Kasparek

Im Falle Franz Schuberts von einem „Jugendwerk“ zu sprechen, ist eigentlich unsinnig, denn der Komponist wurde bekanntlich nie alt. Dennoch, die frühen Streichquartette sind nicht allzu häufig in Konzerten zu erleben. Dies ist schade, denn bei allen Mozart- und Haydn-Anverwandlungen des erst 18jährigen ist ein Stück wie jenes in g-Moll D 173 doch schon erfüllt von erstaunlicher harmonischer Innovation und eigener, unverwechselbarer Melodik.

Die vier Herren des Diotima Quartetts – die Geiger Yun-Peng Zhao und Guillaume Latour, der Bratschist Franck Chevalier und der Cellist Pierre Morlet – bemühten sich redlich um das Werk. Aber sei es, dass die oft noch unsicher geformten Klangbögen dieser Musik einfach schwer umzusetzen sind, sei es, dass die Zeit nach drei Uhr nachmittags biorhythmisch für Musiker und Zuhörende nicht ideal ist: Nicht alles gelang, nicht alles war erfahrbar. Zwar tonschön, aber mit verblüffend viel Vibrato und etwas monochromer Farbe wurden die ersten drei Sätze durchmessen. Im beherzt gespielten Allegro-Finale wäre es noch viel mehr notwendig gewesen, die Kontraste zwischen Forte und Piano auszureizen, um der fast gespenstischen Atmosphäre dieses ungarisch inspirierten Tanzes gerecht zu werden.

Dramaturgisch klug gedacht folgte Johannes Maria Stauds 1999 uraufgeführtes Streichquartett „Dichotomie“, denn auch da geht es unter anderem um die Faszination von sehr laut und sehr leise. Der zweite und vorerst leider letzte Gattungsbeitrag des 1974 geborenen Tirolers (1995/96 war bereits ein kurzer Quartettsatz entstanden) darf ebenfalls als gelungene Talentprobe gelten. Staud zeigte damals, wie gut er Neue Musik schreiben konnte, doch durchaus Schubert ähnlich gab er schon originelle Methode zu erkennen, vor allem im vegetativen Fortspinnen der „Keimzellen und Klangfelder“ und im Aussparen des bloß Geräuschhaften, sieht man vom effektvollen Fußeinsatz der Interpreten an expressiven Höhepunkten einmal ab. Dichotomie ist ein botanischer Begriff, der für „gabelartige Verzweigungen bei Algen, Moosen und Farnen“ steht. Mit zunehmender Dauer des attacca gespielten zweisätzigen Stücks muss man allerdings eher an einen surrenden Bienenkorb denken. Die Diotima-Herren erfassten dies mit Präzision und Virtuosität.

So ganz zuhause war das Quartett dann nach der Pause. Da stand allerdings auch das „fertigste“ der drei Stücke am Programm, nämlich das F-Dur-Quartett des 1903 immerhin schon 28jährigen Maurice Ravel. Dies ist nun tatsächlich ein in sich stimmiges Meisterstück, in dem sicher die von der Mutter des Komponisten vermittelte baskische Volksmusik geheimnisvoll nachklingt, das in seinem subtilen Klang-Raffinement und seiner tiefen, aber immer dezenten Emotionalität jedoch prototypisch für französische Musik der Moderne wurde. Die vier Interpreten spürten den feinen Stimmungen der Partitur mit spürbarer Liebe und höchster technischer Kompetenz nach. Bei aller Freude am ziselierten Detail entstand ein weit geschwungenes Ton-Poem, welches einen beglückt in den eisigen Winterabend entließ.

Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher