Große Emotion ganz ohne große Gesten

MOZARTWOCHE / JOHANN CHRISTAN BACH / LUCIO SILLA

03/02/13 Dreieinhalb Stunden (ja wirklich von 11 bis 14.30 Uhr) ausgewachsene Oper. Konzertant, aber farbiger und aufregender als so manche szenische Produktion. Dreieinhalb Stunden Orchester-Höhenflug und Stimm-Wunder. Dreieinhalb Stunden aufmerksames und gespanntes Zuhören.

Von Heidemarie Klabacher

Verwirrung und Verzweiflung und große Emotion ganz ohne große Gesten. Ein handverlesenes Sänger-Ensemble getragen von einem lustvoll musikantisch und aufwühlend dramatisch begleitenden Orchester animiert zu Höchstleistungen von Ivor Bolton, dem Erzmusikanten und Experten für diese Musik: ein einziger Hit von dreieinhalb Stunden.

Zu klagen wäre nach diesem Hochgenuss am Samstag (2.2.) höchstens darüber, dass nach den Lucio Silla-Fassungen von Wolfgang Amadeus Mozart, Pasquale Anfossi und Johann Christian Bach nicht auch noch die Turiner Version von Michele Mortellari zur Diskussion gestellt wurde. Der Vollständigkeit halber.

Die Geschichte von Lucio Silla, dem Tyrannen, der die Liebe einer Frau erzwingen und alle anderen umbringen will und sich dann doch eines Besseren besinnt, kennen wir jetzt wirklich alle. Die Libretti wurden von Fall zu Fall von bearbeitet (vor allem der Tyrann mal tyrannischer mal charakterfester gestylt), sie erzählen aber im Wesentlichen die gleiche Geschichte. So fallen auch einzelne dramatische Höhepunkte in den verschiedenen Fassungen auf die gleichen Schauplätze, etwa die Gruft: Die von Lucio Silla bedrängte Guina opfert dort dem Schatten des ermordeten Vaters und erneuert ihren Racheschwur – und trifft prompt den verbannten und tot geglaubten Verlobten Cecilio. Lucio Silla tobt, wird aber von seiner Schwester schließlich zur Vernunft gebracht. Der Emotionspegel ist durchwegs hoch.

Johann Christian Bach, der jüngste Bachsohn, den der junge Mozart sehr verehrt hat, hat jeder Figur wundersame Arien geschenkt, die echte Emotionen ausdrücken – und nicht nur dem Wunsch geschuldet sind, zu brillieren. Tatsächlich ist keine Koloratur, keine noch so kleine Verzierung Selbstzweck: Jede Phrase charakterisiert die Figur noch plastischer.

Damit das herauskommt, braucht es allerdings Sängerinnen und Sänger, wie sie am Samstag (2.2.) zu dieser Sternstunde versammelt waren: Benjamin Hulett als Tyrann Lucio Silla, Sylvia Schwartz als edle Heroine Giunia, Lydia Teutscher als deren Verlobter Cecilio, Carolyn Sampson als Schwester des Tyrannen Celia, Andrew Foster-Williams als Cecilios Vertauter Cinna und Andrew Tortise als Tyrannen-Diener Aufidio.

Sie überzeugten als Solisten mit ihren beredten Rezitativen und stimmtechnisch in jeder Rolle, in perfekt gestalteten Arien – und sie bildeten zusammen ein Ensemble von einem Klang. Schade, dass in der Zeit wirkliche Ensemble-Nummern noch nicht vorgekommen sind. Die jungen Sängerinnen und Sänger bildeten ein „Johann Christian Bach-Ensemble“ wie man es sich ausgewogener nicht wünschen kann. Hier wäre vermutlich auch eine Mozart-Truppe beisammen, wie sie am anderen Salzachufer seit Jahrzehnten gesucht wird.

Das Mozarteumorchester unter der Leitung von Ivor Bolton gab sich vom ersten bis zum letzten Akkord vorwärts drängend, Energie geladen, zupackend und dramatisch – und hat bei aller Kraft und Intensität die Sängerinnen und Sänger auf Händen getragen. Hinreißend genau gestaltet waren die unzähligen Übergänge und Stimmungswechsel in den da capo-Arien, zwischen Zorn und Nachdenklichkeit etwa bei Lucio Silla oder zwischen Zorn und Verzweiflung bei Guina.

Ein Gutteil des musikalischen Reizes dieser Wiedergabe machten die brillanten instrumentalen Instrumentalsoli aus, die beinahe jeder Arie eigene Farbe verliehen. Besonders viel beschäftigt hat Johann Christian Bach das Fagott, etwa in der Zornesarie des Silla, dem auch die Klarinetten im Toben und Denken sekundieren. Zur Vernunft kommen darf er gegen Ende unter dem Schall der Hörner! Eine explizit konzertierende Flöte gehört zu einer der wundersam klagenden Arien der Giunia. Eine ganz besonders tiefe Verbeugung vor allen Musikerinnen und Musikern an den Bläserpulten.

Bilder: ISM/Wolfgang Lienbacher