Leichtigkeiten mit Gewicht

MOZARTWOCHE / LIEDMATINEE SCHADE / MARTINEAU

29/01/14 „Die Freimaurer unter Ihnen werden es schon längst auswendig können. Ich habe das Werk erst jüngst für mich entdeckt: Es verbindet Tamino-Arien mit Sarastro-Weisheiten.“ Das sagte Michael Schade über die Kantate „Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt“ KV 619. Das Stück, das nicht selten Sängern und Zuhörern Mühe macht, klang in der Interpretation des kanadisch-stämmigen Tenors bewegend aktuell.

Von Heidemarie Klabacher

106Vor Jahren hat eine freundliche englisch sprechende Dame – Sitznachbarin im Konzert - der Rezensentin einen winzigen Anstecker mit der Flagge Kanadas drauf geschenkt. Bei der Liedmatinee von Michael Schade und Malcolm Martineau am Dienstag (28.1.) wurde in der 15 oder 16 Reihe im Großen Saal des Mozarteums zur Begrüßung des großen Tenors für Augenblicke gleich gar eine ganze Wimpel-Kette mit dem Maple Leaf gespannt.

Für diese freundlichen Fans aus der Heimat fand Michael Schade ebenso freundliche Worte, wie für den Handybesitzer, dessen Gerät sich nach dem ersten Liedblock meldete. „Wir brauchen keine zusätzlichen Engel oder Vögel. Malcolm macht das alles mit dem Klavier.“ Ohne sich verärgert oder gestört zu geben, plauderte Schade gar darüber, wie es ist, nächtens vom Signal eingehender Nachrichten gestört zu werden, obwohl das Handy auf dem Nachbar-Nachtkästchen auf 'lautlos', aber eben nicht ganz auf 'aus' gestellt ist… Am Ende seines überwältigenden Liederabends meinte Michael Schade, er habe viel zuviel gesungen, viel zuviel geredet für die geplante Zugabe. Keineswegs zu viel gesungen! Und auch das (eh nur kurze) freundliche Geplauder war weit weg von Anbiederung, brachte einfach eine heitere Komponente ins Spiel

Wenn Michael Schade Mozarts „Lied der Trennung“ KV 519 singt, erhält die Drohung  „Komm ich zur Geisterstunde, mich warnend anzuzeigen, vergisst Luisa mich“ einen Touch von Stalking oder Psycho-Terror. So eindringlich gestaltet Michael Schade diese Phrase. Auch die Stimmungswechsel zwischen den vorangehenden Strophen, zwischen Aufbegehren und Resignation, waren ein Kaleidoskop menschlicher Befindlichkeit in emotionalen Extremlagen. Mozartlieder heiter? Nicht, wenn man sie so singt. Als „Luise die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte“  hätte gut dazu gepasst,  aber das ist doch zu sehr ein Frauenlied. Von vollendeter Heiterkeit und Harmonie – nicht zu sprechen von stupender Textdeutlichkeit und packender stimmlicher Präsenz selbst im delikaten Pianissimo spach dagegen das Lied „Komm, Liebe Zither, komm“ KV 351.

Von Mozart ausgehend führten Michael Schade und Malcolm Martineau auf eine Liederreise über Schubert und Brahms bis herauf zu Strauss, der als einer der Jahresregenten heuer ebenfalls in einem der Zentren der Mozartwoche steht.

Ob Mozarts „Veilchen“, Schuberts „Jüngling an der Quelle“, Brahms’ „Auf dem See“ oder Strauss’ „Morgen“: Michael Schade scheint für jedes Lied, jede Emotion, jede Entstehungszeit eine charakteristische „Farbe“ zu besitzen. Von vollendeter Vokalfärbung, Wortdeutlichkeit, perfektem Lagenaugleich und sonstigen „technischen“ Aspekten soll hier nicht geredet werden. Es ist einfach nur zum Staunen, mit welch scheinbarer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit Michael Schade „Leichtigkeiten“ wie Johannes Brahms „Auf dem See“ oder „An eine Aeolsharfe“ zu gestalten weiß: „Leichtigkeiten“ mit jeweils dem Gewicht und dem technischen Anspruch einer Opernszene. Malcolm Martineau untermalt und verstärkt Stimmung und Atmosphäre mit dem Klangfarbenreichtum eines Orchesters.

Ein gewichtige Angelegenheit wie Mozarts Kantate „Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt“ KV 619 wird in der Interpretation von Michael Schade und Malcolm Martineau von aller betulichen Bedeutungsschwere befreit: wundersam schöne Musik, tatsächlich changierend zwischen Tamino und Sarastro, wenn auch nicht gerade liedhaft. Sogar aus den etwas besserwisserischen Belehrungen des Textes steigt aktuelle Bedeutung etwa für einen interreligiösen Dialog hervor.

Bild: ISM/Harald Hoffmann