Das Charisma in Person

MOZARTWOCHE / KREMERATA BALTICA / RADU LUPU

01/02/16 Der rumänische Pianist Radu Lupu ist über die Jahrzehnte zum abgeklärten Altmeister geworden. Am Abschlussabend der Mozartwoche (Sonntag, 31.1.) hat er die beiden wahrscheinlich „persönlichsten“ Konzerte Mozarts gespielt, auf die denkbar verinnerlichste Art.

Von Reinhard Kriechbaum

Weit vorne ziemlich rechts zu sitzen ist akustisch nicht der optimale Platz für ein Konzert, schon gar nicht für eines mit einem Klaviersolo – aber Radu Lupu zu beobachten, hat auch etwas. Der Siebzigjährige ist unterdessen so etwas wie das Charisma in Person. Keine drei Mal hat er an dem Abend die linke Hand erhoben, um seinen streichenden und blasenden Kolleginnen und Kollegen eine kleine Anweisung, einen versteckten Wink zu geben. Das funktioniert allein mit Blicken, wobei Radu Lupu sogar den Kopf kaum dreht. Entscheidend sind sowieso die Ohren. Wie er dem Orchester zuarbeitert, geht’s gar nicht anders, als es dann kommt. Akkurat geht Radu Lupu seinerseits im Klavier-Chroma ein auf die jeweiligen Bläserbeiträge. Auch das Einsatz um Einsatz ein kleines Erlebnis.

Beide Konzerte, jenes in B-Dur KV 595 und jenes in A-Dur, KV 488, laufen in der Literatur als solche, in denen Mozart sich vergleichsweise wenig geschert hat um die Erwartungen seiner Hörer. Die oftmalige jähe Abdriften ins Moll macht sie per se zurückhaltender, tiefer. Radu Lupu nimmt das quasi als Auftrag. Seine Sicht auf die beiden Werke, in einem zur Ruhe zwingenden und (be)sinnlichen Tonfall, mag man als wie aus einem anderen Jahrhundert herein geweht empfinden. Gerade das tut auch gut in einem Festival, das mehrheitlich mehr auf klingende Namen hin disponiert ist als auf wirklich interpretatorisch schlüssige Musiker-Kombinationen. (Vielleicht deshalb fiele es einem nicht nur nach dieser nun zu Ende gegangenen Mozartwoche ziemlich schwer, wirklich entscheidende Interpretationsimpulse in Sachen Mozart zu benennen.)

Radu Lupu stand am Sonntagabend eben als Instanz für sich. In Verbindung mit der bis zum letzten Pult aufmerksam reagierenden Kremerata Baltica war das ein sanftes, leises, von Zurückhaltung geprägtes Erlebnis. Etwas fürs Herz und ganz gewiss nichts für Hörer, die auf den Effekt aus sind. Die Bläser kamen übrigens von Concerto Budapest.

Zwischen die beiden Mozart-Konzerte hatte man echt Rares gesetzt: die Sinfonietta Nr. 2 von Mieczyslaw Weinberg (1919-1996). Dessen Start in die Komponistenkarriere war ob seiner polnisch-jüdischen Herkunft arg behindert, und nach der Flucht in die Sowjetunion durchlebte Weinberg die Repressalien der stalinistischen Kultur-Doktrin. Das stand alles gegen eine Wahrnehmung in der westlichen Welt – ein Defizit, wie ein Schwerpunkt bei den Wiener Festwochen 2014 zeigte.

1960 ist die Sinfonietta Nr. 2 entstanden, deren Eröffnungssatz sich ausnimmt wie Neoklassizismus auf Bartok'sche Melodien. Aber mit Vergleichen und Assoziationen kommt man bei einer so eigenständigen Persönlichkeit wie Mieczyslaw Weinberg wohl nicht weit. Wenn er einen zarten Walzer schreibt (2. Satz), dann überlagern sich die Rhythmen gelegentlich. Auch das fnale Andantino ist beinah eine Walzer-Paraphrase. So charmant und zugleich so wehmütig, dass es fast weh tut.

Bild: ISM / Wolfgang Lienbacher