asdf
 

Die „Aurea vox Okegi“

CD-KRITIK / REQUIEM

31/10/18  Man muss sich die zeitlichen Abläufe immer wieder vor Augen halten: Ab 750 sind die einstimmigen Gregorianischen Gesänge entstanden. Bis zur ersten überlieferten Mehrstimmigkeit der Notre-Dame-Schule vergingen in etwa 450 Jahre, und dann nochmal weitere 150 Jahre bis zur ersten mehrstimmigen Messe (Messe de Nostre Dame von Guillaume de Machaut, um 1364).

Von Reinhard Kriechbaum

Noch länger sollte es bis zur ersten mehrstimmigen, zyklischen Requiem-Komposition dauern: Die allererste – von Guilleaume Dufay, 1474 – ist leider nicht erhalten. So ist das älteste überlieferte Requiem das wohl knapp später komponierte des Johannes Ockeghem (die erste auf uns gekommene Niederschrift ist von 1504). Pierre de la Rue schrieb dann die dritte Totenmesse der Musikgeschichte, im Abstand von zehn bis zwanzig Jahren zu Ockeghem. Eine musikalisch völlig andere Welt.

Wir müssen uns also gerade bei Begräbnismessen (aber natürlich nicht nur da) über Jahrhunderte ein Nebeneinander von Gregorianik, archaischer Mehrstimmigkeit und eben den jeweils „neuen“ musikalischen Errungenschaften vorstellen. Vielleicht deshalb endet das Requiem von Ockeghem schon mit dem Gesang zum Offertorium, dem „Domine Jesu Christe“. Übrigens eines der diffizilsten und gestaltreichsten Stücken der „aurea vox Okegi“, den „goldenen Stimme des Ockeghem (© Erasmus von Rotterdam).

Das famose aus sieben Männern bestehende Ensemble „Diabolus in Musica“ unter der Leitung von Antoine Guerber ergänzt Sanctus und Agnus im Gregorianischen Choral. Ersteres mit improvisiertem einfachen Bassbordun, letzteres wird ziemlich wirkungsvoll mit abwechselnden liegenden Tönen aufgefettet. Genau so müssen wir uns die liturgische Praxis bei entsprechend feierlichem Anlass vorstellen. Wessen Ableben Ockeghems Requiem galt (Karl VII. oder Ludwig XI. kämen in Frage), ist nicht bekannt.

Diabolus in Musica legt jetzt jedenfalls die ersten beiden Totenmessen der Musikgeschichte in einer Referenzaufnahme vor. Diese wunderbar ausgehorchten Bass-Zusammenklänge, kontrastierend zu den zweistimmigen Auflockerungen: Für Ockeghem (~1420-1497) war die Choralmelodie eben noch die unabdingbare melodische Leitlinie, die bestenfalls umsungen, in Maßen variiert wurde, aber immer deutlich hörbar bleibt.

Wenig später schon nahm sich Pierre de la Rue schon entschieden mehr Freiheiten heraus, auch wenn der Introitus nach wie vor mit der Choralmelodie in der Oberstimme anhebt. In diesem Werk sind die Herausforderungen für die Bässe vielleicht noch entscheidender als bei Ockeghem. Die Polyphonie ereignet sich speziell auch in tiefster Lage, und das wird von „Diabolus in Musica“ so plastisch wie mit samtener Geschmeidigkeit umgesetzt. Die Klangdramaturgie bei de la Rue ist höchst aussagekräftig: der Schwärze des „Requiem“ steht ein sehr gezielter Einsatz von Alt und Tenor etwa im Tractus „Sicut cervus“ und gar beim abschließenden „Lux eterna“ gegenüber. „Diebolus in Musica“ zelebriert die fließenden Linien mit angemessener Ruhe, lotet zugleich die illustrativen Lagen-Effekte der Singstimmen aus.

De la Rues Requiem schließt Sanctus, Agnus, und eben auch den Kommuniongesang „Lux etera“ ein. Die Sequenz „Dies irae“ war für beide Komponisten noch kein Thema. Der Text wurde erst durch das Konzil von Trient (1545–1563) als fester Bestandteil des Requiems festgeschrieben.

Requiem. Johannes Ockeghem, Pierre de La Rue. Diabolus in Musica, Ltg. Antoine Guerber. Bayard Musique - www.bayardmusique.com

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014