Einzigartige Endzeit-Musiken

CD-KRITIK / MOZARTEUMORCHESTER / MINASI

22/12/23 Vor genau achzig Jahren schrieb Richard Strauss die erste seiner zwei Bläsersonatinen. Gerade noch rechtzeitig zum Jubiläum erschien eine Aufnahme des Mozarteumorchesters unter seinem ehemaligen Chefdirigenten Riccardo Minasi, gepaart mit den Metamorphosen für Streicher. Hören Sie sich das an!

Von Horst Reischenböck

Es muss nicht immer Mozart sein. Nach und nach erscheinen (endlich) auch wieder mehr und neue CDs, die belegen, dass dem Mozarteumorchester auch Kompetenz abseits seines Namenspatrons eignet. Mit den vorliegenden Einspielungen nutzte man die auftrittslos verstrichene Zeit während der Pandemie. Diese fanden im Dorothea Porsche Saal des Odeïons am nördlichen Stadtrand von Salzburg statt: Dessen Podium bot ausreichend Platz zu räumlichem Abstand voneinander. Trotzdem ging’s nicht ganz reibungslos vonstatten: Wie dem Booklett zu entnehmen, zwang ein positiver Test die Bläser kurzfristig zum Unterbrechen der Sitzungen und in die Quarantäne. Dennoch: Es ist volbracht.

Zwei Jahre vor Ende des Zweiten. Weltkriegs plagten die Depressionen Richard Strauss noch nicht ganz so stark. Zumal sich sein Geist, abgesehen vom Skatspiel, ja nach wie vor unentwegt mit Musik beschäftigte, auch wenn sein Schaffensdrang in Richtung Opern eingeschränkt war. Was Kollege Rossini als „Alterssünden“  bezeichnete, wurde für Strauss zur Ablenkung. Einem Ergebnis derartiger „Handgelenksübungen“ verpasste Strauss ironisch den Titel Aus der Werkstatt eines Invaliden: Das ist eben jene besagte Sonatine Nr. 1 F-Dur für 16 Bläser o.op. 135, mit der er in gewisser Weise auch an seine Jugend anknüpfte. Hatte er doch gleich nach Schulabschluss einen Serenaden-Einsätzer für 13 Bläser, sein op. 7, komponiert.

Nun schwebte ihm als Idol Wolfgang Amadé Mozart und dessen Gran Partita, Serenade KV 361 / 370a vor. Allerdings mit Kontrafagott bestückt: Ein Instrument, über das der lokale Genius noch nicht verfügte und stattdessen als Fundament einen Kontrabass vorschrieb. Strauss‘ drei Sätze von zusammen 37 Minuten Dauer wurden aus Reihen des Mozarteumorchesters hörbar dazu genutzt, um einmal mehr ihre klanglich exzellenten Qualitäten vor Ohren zu führen.

Butterweich schleichen sie sich in den eröffnenden Sonatenhauptsatz ein, ehe das Allegro rhythmisch belebte Kontur gewinnt und Fahrt aufnimmt – um gleich wieder einer verträumten Oboenkantile Platz einzuräumen, gefolgt von Hörnerglanz und Klarinetten... Nach dem Schluss, der das Rosenkavalier-Ende beschwört, geht es sonnen-durchtränkt in die zärtliche Romanze, in deren Mitte ein anachronistisches Menuett pulsiert. Das Finale mit seiner, dem Molto Allegro strahlend übergestülpten Choralmelodie schwingt in heitere Gefilde hinein. Tänzerisch gelöst dann der Ausklang, so recht zum Genießen geeignet.

Vor allem aber auch dazu angetan, um die, den Metamorphosen vorangestellten, düsteren Gedanken ins Positive umzuleiten. Die Studie für 23 Solostreicher, 1945 also zwei Jahre später komponiert, als erschütternde Elegie auf die Zerstörung alles ihm lieb Gewesenen und Verlorenen. Grandios kontrapunktisch dicht gebettet, um sich zuletzt als Memento der Vergänglichkeit im Zitat aus dem Marcia funebre aus Ludwig van Beethovens Eroica zu manifestieren. Durch Riccardo Minasi motiviert, entschlüsseln die engagiert Beteiligten wirkungsvoll das sich darin ständig verändernde fein gesponnene Stimmengeflecht. So spielen das die wenigsten! Die Aufnahme ist als Paradebespiel nicht nur zum Kennenlernen, sondern auch zur kundigen Vertiefung bestens geeignet, somit absolut empfehlenswert. 

Nur schade, dass das Label auf die namentliche Nennung der Streicher, immerhin zehn Violinen, jeweils fünf Bratschen und Celli sowie drei Kontrabässe, verzichtete.

Richard Strauss: Metamorphosen & Wind Sonatina No. 1. Riccardo Minasi / Mozarteumorchester Salzburg. BERLIN CLASSICS CD 03030208C – www.berlin-classics-music.com