Ein wenig geliebter Schutzheiliger der Barockvioline

CD-KRITIK / ARCANGELO CORELLI

09/12/13 Vor dreihundert Jahren, 1713, ist Arcangelo Corelli gestorben. Hand aufs Herz – wem ist dieser Jahresregent in den vergangenen zwölf Monaten im Konzertsaal untergekommen? Es ist wohl so, dass Corelli, theoretisch einer der Schutzheiligen der Barockgeiger, von diesen so sehr gar nicht geschätzt wird.

Von Reinhard Kriechbaum

133Fast schaut es so aus, dass die Blockflötisten sich derzeit lieber abarbeiten am römischen Meister der Violine. Die Blockflötisten transponieren die Sonate op.V/Nr.1 gerne nach F-Dur. Luis Beduschi, ein Blockflötist italo-brasilianischer Herkunft, hat artikulationsmäßig das rechte Parlando und im Bedarfsfall auch ein sattes Spiccato drauf. Erstaunlich ist, dass Beduschis Blockflötenton der Beweglichkeit eines Streichers so gut wie nicht nachsteht: Die Giguen-Variationen in der Sonate Nr.5 sei nur als Beispiel genannt. Wie füllig und präzis da gebundene Tonkaskaden kommen!

Hugo Reyne (Blockflöte) und „La Simphonie du Marais“ haben im Vergleich keinen Startvorteil, schon deshalb, weil ihre Aufnahme als Konzertmitschnitt entstanden ist. Manche suboptimalen Tempi und die auch nicht gerade berauschende Aufnahmebalance sind dem geschuldet. Gut und schön, dass Hugo Reyne mit seinen Partnern sehr bewusst den kammermusikalischen Dialog sucht: Vieles von Reynes eher auf Einfühlung denn auf Effekt setzenden Absichten wird von dem mit Cello, Theorbe und Cembalo/Orgel zeitgeistig opulent besetzten Continuo im Wortsinn zerrieben .

134Der Vergleich mit den anderen Aufnahmen macht sicher. Wenn eine Musik kein „ausgebautes“ Continuo benötig, dann Corellis Opus fünf. Das ist eher ein Feld für jene Triosonaten, die das Ensemble Stravaganza aus den Opera 2, 3 und 4 gewählt hat. Ganz wunderbar, wie das Timbre der Geigerinnen Domitille Gilon und Rie Kimura amalgamiert, wie die beiden mit Charme und doch größter Entschiedenheit jeden Vorhalt, jede Möglichkeit zu Dissonanz und Auflösung auskosten. Das geschieht in enger Verzahnung mit dem nicht minder bestimmt sich einbringenden Cellisten Robert Smith und den eher dezent würzenden Continuo-Partnern Damien Pouvreau (Theorbe, Gitarre), Olivier Salandini (Orgel) und Thomas Soltani, der vom Cembalo aus die Leitung über hat. Das steckt Satz um Satz, Sonate um Sonate voller Delikatesse.

Eine Referenzaufnahme der ersten Sonate aus op. fünf ist wenigstens frisch auf dem Markt: Sie stammt von Johannes Pramsohler, einem initiativen Geiger aus Südtirol, dem kein Geringerer als Reinhard Goebel seine Rogeri von 1713 überlassen hat. Also ein Instrument, mit dem, wenn man so sagen will, Aufführungsgeschichte geschrieben wurde.

135Für Johannes Pramsohler ist Corellis op.V/Nr.1 der Ausgangspunkt für eine kleine Europa-Erkundung, was aus Corellis Kunst eine Generation später geworden ist: am Beispiel etwa der A-Dur-Sonate TWV 41:A4 aus der „Tafelmusik“ von Telemann, der ein deklarierter Corelli-Bewunderer war. Oder am Beispiel von Händels D-Dur-Werk HWV 371. Händel hatte Corelli in seinen Rom-Jahren persönlich kennen gelernt. Und da wäre noch Jean-Marie Leclair, der ein Enkelschüler Corellis selbst war. Keines dieser Stücke ist bloß Abklatsch irgendwelcher Corelli’scher Vorbilder, eher ging es jeweils darum, die von Corelli hoch gelegte Messlatte ja nicht zu unterschreiten. Pramsohler ist ein Geiger, der viel auf die Rhetorik hält, für den keine Melodie bloß Ton-Folge ist, sondern immer ein Wort in einem Gedankengang. Es geht da also nicht bloß um Phrasierungsfragen, sondern oft auch ums Klangbildende, um jene entscheidenden Centi- und Millimeter Bogenstrich, die den Klang des Instruments wesentlich modifizieren. Pramsohler ist da immens erfindungsreich und wird von Philippe Grisvard konzis sekundiert: Da wird man Zeuge von Violingesprächen mit erheblichem Newswert.

Corelli: Sonatas et Follia Opus V. Hugo Reyne (Blockflöte), La Simphonie du Marais. Continuo CR107 – www.continuorecords.com
Corelli: Sonatas op. V. Luis Beduschi (Blockflöte), Philippe Grisvard (Cembalo). Eloquentia EL 1341 – www.eloquentia.fr
Arcangelo Corelli: Triosonaten aus op.2, 3 und 4; Giovanni Battista Reali: Capriccio primo, Folia op.1. Stravaganza. Aparté AP073 - www.harmoniamundi.com
Corelli, Telemann, Leclair, Händel, Albicastro. Johannes Pramsohler (Violine), Philippe Grisvard (Cembalo). Audax 1301 - www.audax-records.fr